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Sonntag, 19. Juni 2011

1. Abschnitt: Wie ich trotz und wegen der DDR ... (13)

Dass ich mich bei der Kosmetik-Reklamationen nicht wohl fühlte, wird man hoffentlich verstehen. Dass ich nun auf einer Planstelle, die auf den sperrigen Namen „kulturpolitisch-künstlerischer Mitarbeiter beim Kreiskabinett für Kulturarbeit … für künstlerisches Wort“ alles besonders gut machen wollte, sieht man wahrscheinlich auch ein. Aber wer das Vorangegangene gelesen hat, ahnt es schon: Der Ausflug in die Welt der Kulturorganisation wurde zum Fiasko. Gleich der erste Auftritt bei einer höheren Charge im Kreis, konkret beim Direktor des einzigen Gymnasiums, führte zu einer handfesten Beschwerde: Arrogantes Auftreten, was ich mir alles angemaßt hatte …
Meine Vorgesetzte zog daraus den für mich nicht wegzuwischenden Schluss, dass ich wohl doch etwas zu grün für die Aufgabe sei und ich mir lieber Praxis in einem Produktionsbetrieb holen solle. Heute wäre dies ein Rauswurf in der Probezeit gewesen, damals gönnte man mir etwa ein halbes Jahr, mir etwas Geeignetes zu suchen. Diese Zeit verbrachte ich überwiegend mit Basisarbeit bei Schreibenden und Laienkabarettisten in Betrieben und mit der Erarbeitung von Muster-Programmen zu allen möglichen Fest- und Gedenktagen. Ein besonderes Vergnügen bereitete es mir, zum „Tag der Nationalen Volksarmee“ ein expressiv antimilitaristisches Programm zu verbreiten. Es war eine besondere Genugtuung, dass nun Danksagungen an das Kreiskabinett kamen. Wahrscheinlich hatte man nichts als trockene Lobhudeleien erwartet.
Nach dieser Erfahrung landete ich in einem der Schweriner Großbetriebe. ORSTA Hydraulik war innerhalb eines „Kombinats“ der Endfertigungsbetrieb für große hydraulische Anlagen. Ich landete in der Materialwirtschaft. Dabei muss man wissen: Eine hydraulische Anlage bestand im Wesentlichen aus drei Grundelementen: einem Motor, einer Pumpe und Zubehör. Mein Blick war die Zuständigkeit für bestimmte Zubehörteile, konkret für Hydraulikventile und Verschraubungen. Vielleicht eine Zwergenperspektive auf die volkswirtschaftliche Problematik. Aber das Problem war einfach: Es gab natürlich einen spezifizierten Plan, welche Aggregate wann in welcher Zahl zusammenzubauen gewesen wären, welche Einzelteile und Baugruppen also zu dem entsprechenden Zeitpunkt hätten zur Verfügung stehen müssen. (Gäbe es im Deutschen noch einen Konjunktiv der gesteigerten Unwahrscheinlichkeit, wäre der am Platz gewesen.)
Antworten auf die Frage, warum die benötigten Aggregate jeweils nicht zur Verfügung standen, drangen nicht bis auf meine Ebene herunter. Dass sie nie so ankamen, wie es geplant war, merkte jeder. Da dann permanent versucht wurde, einen korrigierten Plan vorzulegen, der eventuell umsetzbar gewesen wäre, gab es im Laufe der Zeit eigentlich niemanden im Betrieb, der die anfängliche Planung Ernst nahm. Letztlich lief alles darauf hinaus, gegen Ende der Monate an die Zahlenfront zu werfen, was dann wirklich montierbar war.
In diesem Chaos spielte meine Abteilung eine verständlicherweise eher als untergeordnete Rolle. Jeder sah ein, dass kein Aggregat ohne die passende Pumpe und ihren Motor entstehen konnte. Wenn dann zu erahnen war, welches Aggregat Chancen hatte, tatsächlich noch im laufenden Monat gebaut zu werden, galt es, irgendwie auch noch den Kleinkram dazu zu besorgen. (Mir war so einmal eine abenteuerliche Ganztags-Dienstreise vergönnt, um aus tiefstem Thüringen ein einzelnes Ventil heranzuschaffen.)

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