Sonntag, 31. Juli 2011

5. Abschnitt: Lasset Herrn Marx reden

...
Alle Kollisionen der Geschichte haben also nach unsrer Auffassung ihren Ursprung in dem Widerspruch zwischen den Produktivkräften und der Verkehrsform. Es ist übrigens nicht nötig, daß dieser Widerspruch, um zu Kollisionen in einem Lande zu führen, in diesem Lande selbst auf die Spitze getrieben ist. Die durch einen erweiterten internationalen Verkehr hervorgerufene Konkurrenz mit industriell entwickelteren Ländern ist hinreichend, um auch in den Ländern mit weniger entwickelter Industrie einen ähnlichen Widerspruch zu erzeugen ...
Dieser Widerspruch zwischen den Produktivkräften und der Verkehrsform, … mußte jedesmal in einer Revolution eklatieren, wobei er zugleich verschiedene Nebengestalten annahm, als Totalität von Kollisionen, als Kollisionen verschiedener Klassen, als Widerspruch des Bewußtseins, Gedankenkampf etc., politischer Kampf etc. ...
... Erst in der Gemeinschaft [mit Andern hat jedes] Individuum die Mittel, seine Anlagen nach allen Seiten hin auszubilden; erst in der Gemeinschaft wird also die persönliche Freiheit möglich. In den bisherigen Surrogaten der Gemeinschaft, im Staat usw. existierte die persönliche Freiheit nur für die in den Verhältnissen der herrschenden Klasse entwickelten Individuen und nur, insofern sie Individuen dieser Klasse waren. ... In der wirklichen Gemeinschaft erlangen die Individuen in und durch ihre Assoziation zugleich ihre Freiheit.
… Und endlich bietet uns die Teilung der Arbeit gleich das erste Beispiel davon dar, daß, solange die Menschen sich in der naturwüchsigen Gesellschaft befinden, solange also die Spaltung zwischen dem besondern und gemeinsamen Interesse existiert, solange die Tätigkeit also nicht freiwillig, sondern naturwüchsig geteilt ist, die eigne Tat des Menschen ihm zu einer fremden, gegenüberstehenden Macht wird, die ihn unterjocht, statt daß er sie beherrscht. Sowie nämlich die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muß es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will - während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden. ...

Samstag, 30. Juli 2011

5. Abschnitt: Lasset Herrn Marx reden

Nun kann ich schwerlich total ignorieren, was Marx und Engels über den Kommunismus geschrieben haben, bevor ich meine Fantasien freilasse. Erleichtert wird das dadurch, dass die Aussagen über diese Gesellschaft der Zukunft – ihrer Spekularität wegen – recht dünn gesät sind. (Ich klammere hier aus, was über den Kapitalismus gesagt wurde zur Abgrenzung, wie es einmal NICHT sein wird.)
Ich empfehle die folgenden Leseproben von Marx und Engels, weil ich die Kenntnis dieser Gedankengänge einfach als bekannt voraussetzen möchte.
Den umfangreichsten gesonderten Aussagen zu „Kommunismus“ finden wir wohl in „Die deutsche Ideologie“, geschrieben noch vor der verunglückten bürgerlichen Revolution von 1848:




(Die Grundform dieser Betätigung ist natürlich die materielle, von der alle andre geistige, politische, religiöse etc. abhängt. Die verschiedene Gestaltung des materiellen Lebens ist natürlich jedesmal abhängig von den schon entwickelten Bedürfnissen, und sowohl die Erzeugung wie die Befriedigung dieser Bedürfnisse ist selbst ein historischer Prozeß, der sich bei keinem Schafe oder Hunde findet ... Die Bedingungen, unter denen die Individuen, solange der Widerspruch noch nicht eingetreten ist, miteinander verkehren, sind zu ihrer Individualität gehörige Bedingungen, nichts Äußerliches für sie, Bedingungen, unter denen diese bestimmten, unter bestimmten Verhältnissen existierenden Individuen allein ihr materielles Leben und was damit zusammenhängt produzieren können, sind also die Bedingungen ihrer Selbstbetätigung und werden von dieser Selbstbetätigung produziert. Die ... Bedingung, unter der sie produzieren, entspricht also, ... ihrem einseitigen Dasein, dessen Einseitigkeit ... erst ... für die Späteren existiert. Dann erscheint diese Bedingung als eine zufällige Fessel, und dann wird das Bewußtsein, daß sie eine Fessel sei, auch der früheren Zeit untergeschoben.
Diese verschiedenen Bedingungen, die zuerst als Bedingungen der Selbstbetätigung, später als Fesseln derselben erschienen, bilden in der ganzen geschichtlichen Entwicklung eine zusammenhängende Reihe von Verkehrsformen, deren Zusammenhang darin besteht, daß an die Stelle der früheren, zur Fessel gewordenen Verkehrsform eine neue, den entwickelteren Produktivkräften und damit der fortgeschrittenen Art der Selbstbetätigung der Individuen entsprechende gesetzt wird, die ... wieder zur Fessel und dann durch eine andre ersetzt wird. Da diese Bedingungen auf jeder Stufe der gleichzeitigen Entwicklung der Produktivkräfte entsprechen, so ist ihre Geschichte zugleich die Geschichte der sich entwickelnden und von jeder neuen Generation übernommenen Produktivkräfte und damit die Geschichte der Entwicklung der Kräfte der Individuen selbst.

Freitag, 29. Juli 2011

4. Abschnitt: Gedanken zu Gesetzen, nach denen sich Menschen richten, ohne sie aufgeschrieben zu haben

Ich mag an dieser Stelle nicht darüber nachdenken, was wichtiger ist: Auf der einen Seite die Möglichkeit des Menschen, bewusst mit seinem und dem Leben seine Mitmenschen umzugehen, die Möglichkeit, dass kein Mensch mehr aus „natürlichen“ Ursachen heraus vorzeitig sterben müsste, auf der anderen Seite die Wirklichkeit, dass trotzdem Massen verhungern und verdursten, beim Gebären krepieren usw., weil dies für einige Menschen ein herausgehobenes Leben ermöglicht. Ja, ich bin überzeugt, inzwischen besitzt „die Menschheit“ bereits die technischen Möglichkeiten, „vernünftig“ in / mit ihrer Umwelt zu leben.
Egal: Das höhere Stadium der Entwicklung der Materie ist, dass eine intelligente Form die Harmonie ihrer Umwelt vorsätzlich herstellt. Sie muss sie also erkennen und als Gesamtsystem bewusst beeinflussen. Dass dies kein Zustand, sondern wie in der „ursprünglichen“ Natur ein immer währender Prozess ist, sollte klar sein. Immer wieder sind neue einzelne Zusammenhänge zu erkennen und einzuordnen ins beabsichtigte Ganze.
Man kann Pessimist sein und sagen, das kommt nie. Damit akzeptiert man aber, dass wir uns möglichst schnell noch den Mars ansehen sollten: Früher oder später haben wir die Erde so zugerichtet, dass unsere Kinder keine Kinder mehr haben werden. Nie mehr. Die Erde wird der nächste Mars.

Auf die eine Seite habe ich schon einen Blick geworfen: Dass die politische Revolutionsentwicklung einen vorsozialistischen Zustand produziert hatte, der die Idee des Kommunismus fürchterlich diskreditiert hat, und wir Deutschen dort eine negative Hauptrolle gespielt haben.
Dass auf der anderen Seite die technische Entwicklung bis 1990 noch gar nicht reif gewesen ist für Sozialismus, sollte uns dagegen hoffen lassen, wenn wir umgekehrt zum Schluss kämen, dass sie JETZT dafür reif wäre. Die Produktionsverhältnisse sollen ja den Produktivkräften gemäß gestaltet sein. Dieses ist nämlich das ökonomische Hauptgesetz aller menschlichen Geschichte. Heute haben eben jene Produktivkräfte Sprünge gemacht, durch die man sich leichter vorstellen könnte, WIE eine kommunistische Gesellschaft funktionieren kann – wenn man denn will. Sollte die Menschheit unsere Phase überleben, wird man einst schwanken: Sollen wir nun die Nase rümpfen über die abstrakten Phrasen, die Kommunisten noch bis ans Ende des 2. Jahrtausends ihrer Zeitrechnung vor sich her trugen, oder die teilweise prophetische Voraussicht, nach der, was so abstrakt komisch aussah, tatsächlich ganz anders, aber eben doch im Wesentlichen so eingetreten ist?  

Donnerstag, 28. Juli 2011

4. Abschnitt: Gedanken zu Gesetzen, nach denen sich Menschen richten, ohne sie aufgeschrieben zu haben

Das heißt nicht, dass es so etwas im Umkreis von 100 Lichtjahren um die Erde gäbe.
Das heißt nur, dass prinzipiell zwischen diesen Intelligenzen gegenseitig befruchtende Kommunikation möglich ist bzw. aus Sicht der Menschheit möglich werden könnte.
Das heißt aber eben auch nicht, dass das innerhalb einer absehbaren Zeitspanne sein wird, ja, vor allem nicht, dass es die Menschheit als eine der unbekannten Zahl von Intelligenzen bis in eine solche Zeit hinein schaffen wird.
Interessant dabei ist ja, dass Anzeichen entdeckt wurden, denen zufolge zumindest auf dem Mars bereits Ansätze für die Existenz von Leben existiert haben müssten.
Es geht mir hier nicht um Spekulationen. Es geht mir um eine Besonderheit von Trendgesetzen: Der grundsätzliche Trend, über den sich „Höheres“ letztlich durchsetzt, wird ergänzt und überwuchert von einer zahlenmäßig weit überlegenen Zahl von Einzelvorgängen, bei denen entweder der dialektische Sprung noch nicht eintritt oder aber eine bereits eingeleitete Entwicklung zum Höheren abbricht oder im Chaos versinkt … wie auch immer das konkret aussehen mag …
Und dies gilt für ALLE Trendgesetze. Auf einen Fall, in dem sich eine höhere Entwicklungsstufe durchsetzt, kommen zig Fälle, die so lange im Hamsterrad kreisen … bis sie absterben. Aber wenn man z. B. die Erdgeschichte betrachtet, ist eben bei aller Masse von untergegangenen Lebensformen zum bisherigen Schluss die Menschheit entstanden -mit der Potenz, das Zusammenwirken von Lebensformen bewusst zu harmonisieren.
Nun wage ich den Kommunismus als System als höhere Entwicklungsstufe nicht nur der menschlichen Gesellschaft auffassen, sondern als höhere Entwicklungsstufe der Materie überhaupt. Wenn er entfaltet wäre, dann bedeutete er eben die tendenziell immer bewusstere Regelung der komplexen Zusammenhänge aller Natur zur vorsätzlichen Herstellung harmonischer Beziehungen.
Das klingt hoch gestochen, ist es auch, ist aber trotzdem unumgänglich:
Wir können hier nämlich ein Beispiel für das Gesetz der Negation der Negation beobachten, in der wir die erste „Negation“ längst vollzogen haben.
Die Anfangsstufe ist eine Natur, die ihre „Harmonie“ ohne jeden Vorsatz Beteiligter rein durch das Zusammenwirken von immer mehr an sich chaotischen Kräften herstellt.
Die erste Negation dieses Zustands ist das Auftreten des Homo sapiens. Schon unsere Urahnen wirkten mit Vorsatz auf ihre Umwelt ein und veränderten sie. Vom Trend her veränderten sie sie gemäß ihres Vorsatzes, also die beabsichtigte (Teil-)Wirkung trat immer wahrscheinlicher ein. Allerdings waren alle diese vorsätzlichen Eingriffe Störungen der Harmonie des Gesamtsystems Natur, das sich in veränderter Struktur wieder neu herausbildete. (Allerdings blieben manche Landschaften „zerstört“.)
Die Notwendigkeit zum Übergang zur nächsten Stufe tritt in dem Moment ein, in dem der Eingriff „des Menschen“ in das Gesamtsystem Erd-Natur so allumfassend geworden ist, dass eine Wiederherstellung eines natürlichen „harmonischen Systems“ nur unter Ausschluss von Menschen möglich wäre. Sicher wäre ein harmonisches Miteinander von Ratten und bestimmten Mikroorganismen auch innerhalb einer radioaktiv verseuchten Atmosphäre denkbar. Allerdings gehören in die Gruppe solcher Systemeingriffe auch längerfristig wirkende wie ein die Erdoberfläche modifizierendes verändertes Klima und die direkte (vor allem aber indirekte) Erschaffung von (aus menschlicher Sicht) universalen (Anti-)Schädlingen. (Genetische Manipulationen, Krankheiten usw.) Also ist eine neue Verantwortung herangereift, sobald die unmittelbare Vernichtungstechnik in Händen einzelner Menschen das Potential enthält, die Menschheit als Ganzes zu eliminieren. (Kein Anspruch auf Vollständigkeit)

Mittwoch, 27. Juli 2011

4. Abschnitt: Gedanken zu Gesetzen, nach denen sich Menschen richten, ohne sie aufgeschrieben zu haben

Die zweite Ebene sind „Relativgesetze“. Unser menschliches Problem ist, dass wir alle auftretenden Zusammenhänge unserer Umgebung als solche Relativgesetze erfassen möchten. Relativgesetze sind nämlich all die Zusammenhänge, die sich eindeutig und wiederholbar als Wenn-dann-Beziehung beschreiben lassen. Wenn sie beschrieben werden, sehen sie herrlich einfach aus. Das Problem dabei ist aber, dass es zwar eine Unmenge solcher gesetzmäßigen Zusammenhängen gibt, sie aber in den seltensten Fällen für sich allein auftreten. Es gibt also kaum nur ein Wenn-dann, sondern meist außerdem noch ein ...und-wenn-dann … als auch ein ...aber-wenn-dann auch usw. usf.
Die meisten Relativgesetze sind deshalb nur abstrakt erkennbar. Man muss also alle Bedingungen, die notwendig sind, damit eine Ausgangslage zu einer konkreten Endlage würde, kennen und von möglichen ablenkenden anderen Beziehungen abstrahieren, die in der Wirklichkeit eben immer da sind. (Das macht mitunter das Lesen mancher Marx-Bücher, an erster Stelle „Das Kapital“, so kompliziert. Es wird dort von einem in der Praxis immer nur komplex auftretenden Vorgang wie einem Tausch jeder Teilvorgang wie „Kauf“ und „Verkauf“ gesondert betrachtet – und die Schlussfolgerungen funktionieren auch nur, wenn man genau berücksichtigt, welches Teilelement konkret Marx gerade betrachtet.)

Die dritte und problematischste Ebene sind die Trendgesetze. Hier bewegen wir uns üblicherweise auf philosophischen Höhen. Mitunter versuchen sich auch andere Teilwissenschaften (wie die Psychologie) daran. Solche Trendgesetze versuchen in komplexe Zusammenhängen als Ganzes gesetzmäßige „Ordnung“ zu bringen.
In der Dialektik sind das zum Beispiel das Gesetz der „Negation der Negation“ und das des „Umschlagens von Quantität in eine höhere Qualität“, letztlich also die Behauptung einer Entwicklungsrichtung vom „Niederen“ zum „Höheren“. Prinzipiell sind auch das alles „objektive Gesetze“. Im Gegensatz zur Universalität aller Bewegung ist die Erkennbarkeit dieser Gesetze aber immer an Bedingungen gebunden. Insofern sind sie den Relativgesetzen vergleichbar. Nur beschreiben sie komplexe Zusammenhänge als Ganzes – wohl wissend, dass sich verschieden gerichtete Trend überlagern und teilweise, also im Einzelfall aufheben (können). Erst auf der höchsten Ebene setzt sich der Trend durch. (Im Gegensatz zu Chaostheorien, die meinen, dass sich solche Trendbewegungen als Ganzes letztlich alle gegenseitig aufheben)
Dabei stellt sich natürlich die Frage, was ist denn eine „höhere Qualität“. In der Natur könnte man sagen, es ist die Vielfalt von Qualitäten der Informationsbearbeitung. Aber schon das interessante Phänomen des „Lebens“ wirft das wahrscheinliche Grundproblem auf: Als denkende Lebewesen sind wir Menschen natürlich überzeugt davon, eine höhere Qualität der Existenz von Materie zu sein. Dies einmal als unbezweifelt angenommen, bedeutete das Gesetz, dass sich alle Materie erst in Richtung Leben und dann in Richtung intelligentes Leben bewegen müsste (ohne allerdings niedere Stufen zu beseitigen).
Ja, genau das sagt das „Gesetz“ aus. Wir haben bisher aber real im gesamten erreichbaren All noch keine unwiderlegbaren Spuren von fremdem Leben entdeckt. Zumindest im Moment haben die Vertreter eines Alleinvertretungsanspruchs der Menschheit auf Intelligenz im Kosmos die besseren Karten gegenüber SETI-Phantasten, die auf Nachricht kluger Aliens hoffen.
Jedes „Wenn ..., dann …“ gilt immer, wenn das „Wenn …“ vorhanden ist. Die Menge der einander widersprechenden Einzelzusammenhänge ist bei den Trendgesetzen aber so groß, dass man eben nur sagen kann, dass es, (unterstellt, dass das Universum unendlich ist) dort irgendwo auch intelligentes Leben gibt. Nein: Dass es das geben muss. (Und dass es im Laufe weiterer Milliarden Jahre Entwicklung insgesamt häufiger intelligentes Leben geben wird – was durchaus vom Verschwinden intelligenter Lebensformen in einzelnen Galaxien wie der Milchstraße begleitet ist. Als Alien würde ich für die Menschheit eine solche Untergangsprognose für die wahrscheinlichste halten.)

Dienstag, 26. Juli 2011

4. Abschnitt: Gedanken zu Gesetzen, nach denen sich Menschen richten, ohne sie aufgeschrieben zu haben

Das Dumme ist, dass wir uns heute in einer Chaos-Welt befinden. Ohne eine Wertung abgeben zu wollen, ob Marx und Engels die richtigen Voraussagen getroffen haben, was den Weg angeht, so ist doch eines sicher: Der von ihnen beschriebene Zielpunkt der menschlichen Entwicklung, den sie Kommunismus nannten, ist davon abhängig, dass möglichst viele Menschen tatsächlich in jenen „See“ der Geschichte hineinsteigen. Wirklich handeln. Bleiben zu viele am Rande stehen – zum Beispiel mit der Entschuldigung, sie wären ja schon drin gewesen und der Wasserspiegel sei nicht angestiegen, sie hätten sich nur nass gemacht dabei – dann bleibt die notwendige weitere Entwicklung der Menschheit einfach aus. Schluss und Barbarei.
Nun gibt es grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse, denen zufolge es eine reale tendenziell gerichtete „Entwicklung“ gibt. Damit meine ich nicht erst den „Marxismus-Leninismus“. Der hat solche Erkenntnisse „nur“ zusammengetragen und zu einem System zusammengefasst und vor allen Dingen ihre Anwendbarkeit auf die menschliche Gesellschaft dargestellt. Ich meine hier die Dialektik, die zum einen ein System von Zusammenhängen zu erfassen versucht, zum anderen eine zweckmäßige Methode ist, an die vereinzelten Zusammenhänge heranzukommen.
Wobei … Eigentlich wäre der Marxismus genau das richtige System für denkaktive Menschen. (Dass leider auch Denkfaule mit ihm die Erklärung der Welt kaugerecht in den Mund geschoben bekommen möchten, lassen wir einmal außen vor.) Allerdings ist er natürlich – wie jedes Denksystem – bedroht von verkrustendem Dogmatismus auf der einen und verfälschendem Revisionismus auf der anderen Seite. Dabei muss man ihn nur als Handwerkszeug verstehen, um die Zusammenhänge in der Welt sowohl als solche zu erfassen, als auch über die Veränderung ihrer Bedingungen sie gestaltbar zu machen. In der Vergangenheit wurde häufig „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet“. Man bildete sich ein, dass wenn es „objektiver Gesetze“, also von Zusammenhängen, die unabhängig von einer bewussten Absicht notwendig und wiederholbar in einer bestimmten Weise auftreten, gibt, dann siegt der „Fortschritt“ zwangsläufig..
Richtig. Es gibt diese Gesetze. Bevor man sich allerdings in die Dialektik stürzt, sollte man aber die Art dieser Gesetze etwas genauer gruppieren. (Und genau das haben auch viele „Marxisten“ versäumt.)
Das Grundgesetz der Dialektik ist (wahrscheinlich) das einzige echte „Universalgesetz“. Es besagt, dass alle Formen der Materie sich in Bewegung, Veränderung befinden, sich nur als „Einheit und Kampf von Gegensätzen“ erklären lassen. Wobei der Ausdruck „Kampf“ missverständlich ist: Er ist nicht so zu verstehen, dass die eine Partei die andere besiegt und dann allein übrig bleibt, sondern immer so, dass die Ausgewogenheit (sich dabei selbst verändernder) einander bedingender Faktoren eines Ganzen immer neu hergestellt wird. Also solche Systeme wie Masse-Energie oder Atomkern-Atomhülle. Beide Seiten der Systeme sind ohne die andere nicht das, was sie sind.

Montag, 25. Juli 2011

4. Abschnitt: Gedanken zu Gesetzen, nach denen sich Menschen richten, ohne sie aufgeschrieben zu haben

Nun sind aber „gesellschaftliche Gesetze“ solche, die erst durch das Handeln von Menschen wirken. Das Handeln des Menschen erwächst wie das Denkniveau auf dem es beruht auf dem „Entwicklungsstand der Produktivkräfte“. Beim heutigen Durchschnittsdeutschen würde dieses Prophetenspiel nicht funktionieren - der kennt die Naturgesetze aus der Schule gut genug, um den „Propheten“ zu belächeln.).
Bei unserem Beispiel bliebe es gleich, ob der Mann die anderen betrügen will, um zu Macht zu kommen, oder er den Menschen zeigen will, welche Macht sie haben über die Naturgewalten. Entscheidend ist, er hat offenbar über den Zusammenhang des Naturgesetzes, hier also die Wasserverdrängung, nachgedacht, die richtigen Schlüsse gezogen … und durch das Handeln der Massen die beabsichtigte Wirkung wirklich eintreten lassen.
Dies ist eine, wenn auch zugegeben etwas makabre, Verbildlichung von Marxens Satz „Die Idee wird zur materiellen Idee, wenn sie die Massen ergreift.“
Marx meinte seinen Satz jedoch positiv: Er bezog es auf progressive Ideen. Wir sehen an dem Beispiel, dass er aber in der menschlichen Gesellschaft einen universalen Zusammenhang beschreibt, der menschliche „Natur“-Gesetze von „echten“ / „reinen (unbelebten)“ Naturgesetzen unterscheidet. Wir vergessen aber nicht, dass letztere weiter wirken, wo erstere nicht wirken, und dass sie Basis für das Wirken der „Idee“ sind. Wenn es nicht die Wasserverdrängung gäbe, hätte der Mann sie nicht erkennen und ausnutzen können. …
 Der moderne Marxismus steht gerade vor diesem Problem.
Das Naturgesetz (!) der dialektischen Entwicklung vom Niederen zum Höheren gibt es zwar, das Höhere gegenüber dem Kapitalismus wäre dabei (meinen zumindest die Kommunisten) der Kommunismus, (darauf kommen wir noch), aber sobald die Menschen meinen, sie wären schon in diesem Gewässer gewesen (was ein Trugschluss ist) und der Wasserspiegel wäre nicht gestiegen, wollen sie nicht „noch einmal“ hinein. Kommt den Massen nicht aus eine beliebigen neuen Richtung ein neuer Anstoß zum erneuten Tun unter neuen Bedingungen, tritt das alte Gewässer nie über seine Ufer und verfault (sprich: die Menschheit ginge unter).
Marx hatte es da leichter. Er war noch in der Rolle des Mannes, der zu „Unschuldigen“ sprach. Ihm stand „nur“ entgegen, dass „natürlich“ die Gegner der von ihm gewollten Entwicklung alles unternahmen, damit sein Wort einfach nicht genug Menschen für das richtige Handeln erreichte.
Das tun die selbstverständlich immer noch. Die „Erben“ der Macht im Kapitalismus unternehmen natürlich weiter alles, um ihre „Erbschaft“ zu bewahren. Und ihre Möglichkeiten sind gewachsen. Unter anderem stoßen wir langsam an die Grenzen des „gesunden Menschenverstandes“. Der sieht eine Menge Menschen, die er versteht (und die sich nicht so verhalten, dass man mit ihnen „Kommunismus machen“ könnte), und schlussfolgert vereinfachend: „DIE Menschen sind eben so.“ Also so wie die mit mit dem gläubigen Menschenverstand vor 700 Jahren?!

Sonntag, 24. Juli 2011

4. Abschnitt: Gedanken zu Gesetzen, nach denen sich Menschen richten, ohne sie aufgeschrieben zu haben

Wozu dieser Nonsens im vorigen Abschnitt? In gewisser Hinsicht ist er eine Antwort auf die, die meinen, eine "Regierung" würde schon das richtige tun ... wenn man nur drin wäre. Der Rest ist ...
Der Rest sind gesellschaftliche Gesetze, die wir richtig verstehen müssen. Um nicht in blindem geistigen Chaos zu versinken und vernünftige Überlegungen zur menschlichen Entwicklung anzustellen – und es nicht bei reiner Fantasie zu belassen – nehmen wir deshalb eine der wichtigsten Aussagen des „Marxismus“ einfach als wahr an, nämlich dass es Gesetze der menschlichen Entwicklung gibt, sie also nicht willkürlichen Zufällen unterworfen ist. Dies erst einmal anzunehmen, so als Denkhilfe, ist auch für Menschen erlaubt, die von Anderem – beispielsweise dem unerklärbaren Plan Gottes – ausgehen zulässig. Wenn wir uns nicht auf die Interpretation materiell interessierter Kirchenmenschen verlassen, dann können wir ja als Möglichkeit in Betracht ziehen, dass es der bisher unerklärbare Plan Gottes sein könnte, dass die Menschen entdecken, erkennbaren Gesetzen des Zusammenlebens unterworfen zu sein.
Von dem Moment an, in dem es eine „menschliche Gesellschaft“ gab, wirkten ihre Entwicklungsgesetze, indem sie den chaotischen Handlungen Vieler ein (allerdings nur theoretisch vorher bestimmbares) Ergebnis als letztlich notwendig zuordnen. Egal, wer sie erkannt hat. Irgendein einzelner Mensch, eine Gruppe von Menschen oder die ganze Menschheit. Oder ob überhaupt einer.
Das hat einen einfachen Grund: alle gesellschaftlichen „Gesetze“ haben ihre Wurzel in Zusammenhängen in der unvernünftigen „Vernunft“ der Natur. Also Mechanismen, mit denen die Natur ihre eigene Existenz erhält, wirken weiter, trotzdem der Mensch sie erkennen und damit beeinflussen könnte, erst einmal schon (aber nicht nur) deshalb, weil er sie nicht erkannt hat. Insofern ist es wichtig, solche Gesetze, Naturregeln, genau zu erforschen.
Spannend wird es durch einen neuen Aspekt.
Sagen wir, es findet sich ein Mensch, der auf andere glaubhaft wirkt, wodurch auch immer.
Sagen wir weiter, dieser Mensch behauptet, dass wenn alle anderen Menschen zu einem von ihm bestimmten Zeitpunkt in einen See steigen, so wird der ewige Schöpfer der Welt machen, dass dieses Gewässer über seine Ufer tritt.
Sagen wir, genug andere Menschen handeln, wie dieser eine es ihnen sagte.
Was passiert? Das Gewässer tritt tatsächlich über sein Ufer. Der Mensch hat ein Wunder eines angeblichen Schöpfers bewiesen, das gar keines war. Er hat etwas vorausgesagt, dass unter den von ihm genannten Bedingungen notwendig so eintreten musste (ohne dass das etwas mit dem zu tun hatte, was er als Begründung angegeben hatte).
Stellen wir weiter fest:
Wären nicht genug Menschen der Wunderverkündung glaubend ins Wasser gestiegen, so wäre ein merkbarer Anstieg des Wasserspiegels nicht eingetreten, also das vorher verkündete Wunder wäre ausgeblieben. An der naturgesetzlichen Wasserverdrängung hätte sich nicht verändert. Ihr hätten nur die Voraussetzungen gefehlt, wirklich wirksam zu werden.
Die Kraft der Idee (der Übereinstimmung seiner Erkenntnis mit dem tatsächlichen Handeln seiner Mitmenschen) des Mannes hat, unabhängig, ob ehrenwert begründet oder nicht, zu einer sichtbaren Veränderung geführt.
Nun kann man sagen, wie primitiv! Eine einfache Wasserverdrängung!
Falsch!!! Es geht in diesem „Beispiel“ darum, dass die vorangegangene „Prophezeiung“ des Mannes das Handeln der anderen Menschen und dieses wiederum das Auftreten eines „Naturgesetzes“ hervorrief, eines Naturgesetzes, was potentiell immer vorhanden war, ist und sein wird – unter bestimmten Voraussetzungen ...

Samstag, 23. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (8. Fortsetzung)

8. Fortsetzung
Natürlich hätte ich schon lange als Volksredner versuchen können. Aber mir fehlte außer dem Talent, meine umfassenden Theorien in Freisprech-Schauen zu verwandeln, auch jenes leicht übersteigerte Selbstbewusstsein, auf eine Bühne zu steigen und zu erwarten, irgendwelche Massen wollten das hören, was man sagen will. Ich hatte nur das Sendungsbewusstsein verkannter kleiner Propheten, andere Menschen, nein, eigentlich die ganze Menschheit müsste von dem überzeugt werden, was ich gesagt hätte, hätte ich es denn gesagt. Die Vision, unter den gewaltigen Kräften, mit denen Menschen alles Leben auf der Erde so umfassend verändern konnten, wäre mindestens eine, die frei gesetzt die Menschheit vernichten würde, weil sie einfach zu groß waren, um an Verdienstabsichten irgendeines Privaten geknüpft zu werden. Das Wissen, dass jeden Tag ein unermesslicher Reichtum zerstört wurde – egal ob unbeabsichtigt wie z. B. durch die Folgen des fortschreitenden Klimawandels oder mit Vorsatz durch Rüstung und Krieg. Die Überzeugung, dass diese Verknüpfung längst nicht mehr nötig gewesen wäre, dass der Wissensschatz der Erde ausreichte, um jedem Menschen der Erde ein gutes Leben ohne Hunger und mit sinnvollen Beschäftigungen in angenehmem Umfang zu sichern. Anstatt dessen kämpften angeblich kluge Köpfe sogar noch darum, wie mit Lizenzen möglichst alle Anderen von ihrem Wissen ausgeschlossen werden konnten!
Aber wer sollte daran etwas ändern? Wer konnte das?
An der Stelle stockte ich. Mir schwindelte wie beim Blick vom Fuß zur Spitze eines Hochhauses. Mit meiner linken Hand konnte ich vielleicht die Lawine anstoßen, die notwendig war. Den Rest würden die Anderen machen. Immerhin gab es schon ein paar Minipropheten, bei denen es technisch leicht sein musste, ihnen persönlich auf die Schulter zu klopfen. Sie brauchten nachher gar nicht so völlig neue Reden zu schwingen, man würde ihre Veränderung vielleicht nicht einmal bemerken.


Der Rest war langweilige Routine. Ich schmückte meine Armschiene mit etwas echtem Gips und Unterschriften fiktiver Freunde und arbeitete Termin um Termin ab. Das Gemisch aus Händedruck mit der mystischen Linken und Kitzel an der Eitelkeit der Gesprächspartner wirkte Wunder. Jedem erklärte ich, dass ich genau seine Gruppierung als erstes befragte, und dass alle Absprachen vorbehaltlich der Zusage der Anderen galten, und natürlich würde es bei denen viel schwieriger werden, sie zur Vernunft zu bringen.
Ich war mir nicht sicher, ob mein Händedruck wirklich jeden Vorbehalt gegen andere aufhob. Amüsant fand ich allerdings den Gedanken, unwissentlich gerade mit einem V-Mann des Verfassungsschutz zu reden, der zu mehr Militanz und Einzelaktionen anstacheln sollte, um nachher über Militanz und Einzelaktionen in der linken Szene zu berichten. Nun würde er plötzlich selbst von der Sache überzeugt sein, gegen die er zu schnüffeln hatte – und friedlich mitmachen. Seine Vorgesetzten wären enttäuscht.


Welch vergnügliche Aussicht, im Fall eines kleinen Erfolges, also des Einzugs einer Fraktion in den Bundestag, der Bundeskanzlerin persönlich die linke Hand geben zu können und die spräche sich plötzlich für den Kommunismus aus! Nur wie lange konnte ein Mensch mit einem Gipsarm herumlaufen, ohne Aufsehen zu erregen? Und bei ersten Nachforschungen stieß ich auf ganz vulgäres Problem: Die Sicherheitseinrichtungen im Reichstag erlaubten keine metallischen Gegenstände für Besucher. Das Scharnier meines rechten Arms aber war metallisch …

Freitag, 22. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (7. Fortsetzung)

7. Fortsetzung
Einige Jahre früher war ich auf der Suche nach irgendeinem Job auf den Dreh mit der Komparserie gestoßen. Ich fand eine Agentur, die von sich behauptete, Beziehungen zu Nebenrollen in vielen Film- und Serienproduktionen zu haben. Zuerst musste ich insgesamt 300 Mark für Fotoshooting und Setcart hinblättern und in den folgenden Jahren wurde ich insgesamt fünfmal angefordert, wobei ich dreimal beim Casting durchfiel. Und nun gab es das sechste Casting … und ich fiel wieder durch! Dabei hätte ich in einer Krankenhausserie nur als Patient durch den Gang laufen müssen. Dazu hätte man mir einen Gipsarm verpasst!
Nein, nicht gleich nach Runde 1 aufgeben! Ich fing einfach einen der auserwählten Komparsen draußen ab und bezahlte ihm das Doppelte des versprochenen Honorars. Ich wolle doch nur einmal in meinem Leben bei so etwas mitspielen, erklärte ich ihm.
Und ich spielte!!! Unter einem fremden Namen, mit dem ich den Drehtermin wahrnahm.
Ich glaube kaum, dass große, vor allem polizeiliche Nachforschungen angestellt wurden, was aus der Armschiene geworden ist. Ich war weder zum „Abschminken“ erschienen noch zum Honorarempfang. Etwas seltsam war das Gefühl schon, mit einem Kunstgipsarm im Rucksack aus den Räumen zu flüchten. Aber gerade dort, wo so viele zusammen sind, achtet jeder zuerst auf sich und nicht auf den Nachbarn.
Der Gipsarm hatte den Nachteil, dass er nicht aus Gips, sondern aus Plastik, aber den Vorteil, dass er mit einem Scharnier versehen war, mit dem er sich bei Bedarf leicht anlegen und wieder entfernen ließ. Zumindest dachte ich damals, dass es ein Vorteil wäre ….

Donnerstag, 21. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (6. Fortsetzung)

6. Fortsetzung
Der Frühling kam. Lilja und Jörg waren wirklich ganz nette Typen. Gelegentlich besuchten wir uns „auf´n Sprung“ und quatschten über das, was uns so auf dem Herzen lag. Lilja war Verkäuferin bei Schlecker. Ganz erbost hatte sie mir erzählt, sie habe eine Abmahnung erhalten, weil sie sich anstatt an der Kasse zu kassieren lautstark über Vor- und Nachteile verschiedener Gesellschaftssysteme ausgelassen hatte – eben, dass sie unter kommunistischen Bedingungen nur wirklich wichtige Sachen machen brauchte, nicht immer den Leuten ihre letzten Cents abnehmen, und kuschen müsste sie da auch nicht, um einen Minianteil am Erlös der Verkäufe als Bezahlung zu bekommen. Seitdem schaue sie immer genau, wer ihre Meinung mitbekäme, aber nehmen ließe sie sich die trotzdem nicht. Sie habe inzwischen verstanden, was gut für sie sei.
Da ich mir sicher war, sie nicht an Rücken oder Schulter berührt, ja auch nicht mit der linken Hand anderswo angefasst zu haben, konnte das nur das Werk des infizierten Jörg gewesen sein.
Ich wollte mich weder darauf verlassen, dass die beiden in Kumpel- oder Fremdgehergruppen gerieten, um meinen Virus weiter zu verbreiten, noch versprach ich mir allzu viel von Lijas Kassiererinnen-Agitation. Wenn mir nicht bald etwas einfiele, wäre meine Infektionskette am Ende, bevor sie richtig angefangen hatte …

Mittwoch, 20. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (5. Fortsetzung)

5. Fortsetzung
Wach wurde ich mit schwerem Kopf, vielen Fragen und der Ahnung neuer Probleme.
Beschränkte sich diese Übertragung meiner politischen Überzeugungen auf den Schlag auf Rücken oder Schulter oder waren auch andere Körperteile als Ziel geeignet, sprich: reichte vielleicht die Hand zu reichen? Im ersten Fall hätte ich mich mit der Zielgruppe Kumpelmänner begnügen müssen. Höchstens jene Frauen wären noch dazu gekommen, die mir mehr als ihrer kalten Schulter zu zeigen bereit waren. Zwar bestand noch die Hoffnung, die von mir Infizierten könnten den ideologischen Virus auf gleiche Weise weitergeben. Doch da hätte ich mich bei Frauenschwärmen anbiedern müssen. Aber so richtig interessant würde die Sache erst, wenn sich das IK-Virus, also das Ideologie-des- Kommunismus-Virus gezielt verbreiten ließe. Vorausschauend graute es mir vor dem nächsten Problem: Die Sitte des Händegebens zur Begrüßung verliert zwar langsam an Bedeutung, ist aber eindeutig an die Benutzung der rechten Hand gebunden. Heutzutage wunderte sich niemand über einen Hammer in meiner linken Hand, höchstens über mein Ungeschick dabei. Aber jemandem zur Begrüßung die linke Hand entgegen strecken? Mindestens peinliche Verwirrung wäre das Ergebnis.
Mir fiel sofort ein, einfach meine rechte Hand zu bandagieren. Da bliebe mir nur die linke zur Begrüßung. Aber ich musste es ja allein versuchen, sofern ich nicht jemanden einweihen wollte. Wie das Ergebnis aussah! Ich verfluchte die zurückliegenden Jahrzehnte, in denen ich meine linke Hand nicht trainiert hatte, versuchte die Binde immer wieder neu haltbar mit meinem rechten Arm, besonders der rechten Hand zu verknüpfen. Doch was ich auch tat, es sah zum Lachen und Fürchten zugleich aus. Es gab nur eine Lösung: Mich musste jemand verbinden, der etwas davon verstand.
Womit ich beim nächsten Problem war. Wem sollte ich meinen rechten Arm hinhalten, ihm bestätigen, dass nichts damit sei, aber er (oder sie) möge ihn mir so verbinden, dass ich auf absehbare Zeit niemandem diese Hand reichen könnte? Ohne Zweifel an meinem geistigen Zustand zu erwecken? Wahrscheinlich hätte ich den schon bei Lilja und Jörg mit einer Erklärung, woher Jörgs Sinneswandel gekommen war, geweckt.
Es blieb mir also nichts Anders übrig, als einen äußeren Anlass, nein, einen echten Grund zu produzieren. Der rechte Arm musste zu Recht bandagiert werden.
Selbstverständlich war ich schon von Leitern gestürzt; ich war auf Tische gestiegen, um eine Glühbirne auszuwechseln, und habe dabei den ganzen Tisch zum Kippen gebracht; ich bin in einen Farbeimer gefallen … Aber außer der Belustigung für zufällige Zuschauer und Freunde war nichts Dauerhaftes passiert. Und absichtlich verunglücken ist erst recht nicht so leicht.
Ich versuchte es mit Kippeln auf eine hohen Leiter. Nur da der Körper ja wusste, was ihm bevorstand, ging er in Sicherheitsbereitschaft. Und bestimmt gibt es Statistiken, die besagen, dass sich Rechtshänder überwiegend den rechten und Linkshänder den linken Arm brechen. Das Unterbewusstsein schickt nämlich das Kommando „Tu doch was!“ im Augenblick der Gefahr spontan zuerst an jenen Arm, von dem es die bessere Reaktion erwartet.
Ich war schon so weit, mich unter Einschluss meines linken Armes wie eine Mumie einzuwickeln, damit ich nur den rechten Arm ausstrecken und brechen konnte. Da fielen mir die nächsten Probleme ein: Einmal angenommen, mir wäre gelungen, mir meinen rechten Arm zu brechen, wie sollte ich mich dann wieder auswickeln oder – wenn mir dies nicht gelänge – wie erklärte ich denen, die mich nachher fänden, meinen „verwickelten“ Zustand? Andererseits erschien mir letztlich wahrscheinlicher, mir einen Halswirbel als diesen blöden Arm zu brechen.
Wie ich es auch wenden mochte, ich fand keine Lösung. Es sind ja immer diese ganz kleinen Dinge des Alltags, die uns daran hindern, Großes zu vollbringen.

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (4. Fortsetzung)

4. Fortsetzung
Am nächsten Morgen blieb ich erst einmal still liegen. Man kennt diese Situation aus vielen Krimis. Die Kriminalisten haben einen Verdacht. Taten sehen sich ähnlich, aber anscheinend besteht zwischen den Opfern kein Zusammenhang. Nun wäre es genauso ungewöhnlich wie langweilig, wenn es wirklich willkürlich betroffene Opfer wären. Beim Frauenmörder haben sie mindestens ihr Frausein gemeinsam. Ob es blonde junge sind, die nach dem Fitnesscenterbesuch durchs Parkhaus laufen müssen oder Frauen mit weniger Gemeinsamem, kann oft erst bewiesen werden, wenn der nächste Mord ins Muster passt.
Ich suchte zwar keinen Mörder. Ich hatte aber drei Fälle von seltsamen, einander ähnelnden Verhaltensweisen von Menschen, die einander mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht kannten und mir zufällig begegnet waren. Nur war ich noch mehr Leuten begegnet. Das konnte es also nicht allein sein. Aber alle drei Begebenheiten lagen zeitlich nach jenem Toaster-Missgeschick und wahrscheinlich hatte ich alle plötzlich so seltsam auftretenden Menschen mit meiner linken Hand am Rücken berührt. Der Zufall ließe sich nur ausschließen, wenn ich eine vierte Person am Rücken berührte.
Natürlich gibt es solche penetranten Ami-Klischee-Typen, die mit jedem, den sie beim Begegnen wieder erkennen, alte Freunde sind und durch Schulterklopfen ihre ungeheure Freude ausdrücken. Ich aber war weder Amerikaner noch leutselig. Ich hätte solch eine Berührung als Bedrohung empfunden, vielleicht sogar als Anmache. Ich wusste noch nicht, wie intensiv und wie lange jenes kommunistische Agitationsbedürfnis über die unmittelbare Begegnung hinaus erhalten bliebe – vorausgesetzt, mein Verdacht sollte sich erhärten. Mein Sohn war für den bevorstehenden Test ungeeignet, da er a) mir nur sehr selten begegnete und b) von meiner politischen Einstellung wusste, ein Gespräch über dieses Thema also kein Zufall zu sein brauchte.
Ich entschied mich für eine schauspielerische Stegreifaktion. Kunze wohnte im Haus über mir. Es wäre ein astronomischer Zufall gewesen, hätten in demselben Sechsgeschosser in Hellersdorf mehrere Spitzel des Verfassungsschutzes oder Propagandisten der Weltrevolution gewohnt. Ich erinnerte mich also daran, dass in meiner Kellerbucht seit langem ein von einem früheren Bewohner ausgemustertes Regal stand. Das würde ich auf meinen Balkon bringen. Ich wuchtete es aus dem Keller, durch die Kellertür, die Kellertreppe herauf … und dann hatte ich den Punkt erreicht, wo man es leicht sah: Ich hatte mich übernommen, musste also Hilfe erbitten. Ich klingelte bei Mustanski. Ich wusste, dass der 30jährige Familienvater daheim und körperlich fit war.
Tatsächlich ging die Tür auf. Ich wies auf das abgestellte Regal und gab in jammerndem Ton von mir: „… Ich schaffs nicht allein. Könnte nicht ihr Mann kurz mit anfassen? Die Treppen …“
Frau Mustanski enttäuschte mich nicht. Sie brüllte: „Jöööörg, kommst du mal?!“ Dann erklärte sie dem Heranwatschelnden meine Lage sehr wortreich und hieß „Jööörg“ feste Schuhe anzuziehen. Das Regal war für meinen Zweck wunderbar geeignet. Ein Mann etwas besserer körperlicher Verfassung hätte es locker allein hoch geschafft, mir war es zuzutrauen, zu zweit aber ging es wirklich leicht. Mir war ja nur wichtig, dass ich ohne Verdacht zu erregen dem Hausmitbewohner danach kumpelhaft die Linke auf die Schulter legen konnte.
Ich tat´s … und richtig: Jörg Mustanski erklärte mir vorm Verlassen meine Wohnung, solch nachbarschaftliche Hilfe sei im Kommunismus selbstverständlich. Ohne bestimmte Formen von Besitz gäbe es keinen Sozialneid und damit weniger Neid überhaupt. Man halte da einfach besser zusammen. Zu DDR-Zeiten war das ja schon besser, und heute … Er bedauere, seine Nachbarn fast überhaupt nicht zu kennen und …
Ich war froh, als die Tür zu war. Ich stand wieder allein in meiner Wohnung mit einer Einladung, abends einmal runter zu kommen. Muss ich besonders erwähnen, dass ich noch am selben Abend die Treppen hinuntergestiegen bin mit einer Flasche Rotwein in der Hand und was dort unten Gesprächsthema war? Muss ich betonen, wer dieses Gespräch fast allein bestritt, wer seine Frau und mich von den Vorzügen des Kommunismus überzeugen suchte? Hätte ich nicht gewusst, dass mich Jööörg vorher nicht gekannt hatte, wäre ich mir veralbert vorgekommen, so als wollte jemand meine Macke karikieren. Viele Sätze und alle Gedanken kamen mir vertraut vor. Die hätten nicht nur von mir sein können – die waren von mir!
Nun war ich mir ziemlich sicher: Ein Handschlag meiner Linken verwandelte den Getroffenen in einen Propagandisten des Kommunismus. Er übertrug meine Überzeugungen und Erkenntnisse auf ihn und diese Wirkung hielt mindestens mehrere Stunden an. Allerdings sollte ich künftig darauf achten, wie viel und welchen Wein ich trank. Die Mustanski-Mischung suggerierte mir in der folgenden Nacht einen Orkan auf hoher See.

Dienstag, 19. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (3. Fortsetzung)

3. Fortsetzung
Mich interessiert Kultur. Am meisten natürlich die Schreiberei. Sonst hätte ich ja auch jetzt nicht versucht, meine Geschichte selbst aufzuschreiben, und alles einem Ghostwriter überlassen.
Jedenfalls ging ich immer am ersten Montag im Monat ins Kulturforum in der Nähe zum sogenannten Literaturstammtisch. Für den ersten Januarmontag war ein Russlanddeutscher mit Anekdoten und Kurzgeschichten aus dem Leben von Auswanderungswilligen und Ausgewanderten angekündigt. Da sogar heitere Texte versprochen wurden, freute ich mich auf eine Abwechslung. Ich wurde nicht enttäuscht. Der Mann schlug Bögen vom Edikt Katharinas der Großen zur Ansiedlung von Deutschen an der Wolga über seinen Großvater zu den Dummheiten eines Bekannten beim Packen des Umzugscontainers. Und Fragen beantwortete er auch. Ein sympathischer Herr, aber geprägt davon, dass seine Vorfahren als Kollektivstrafe für den Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion aus ihrer angestammten Heimat ins tiefe Sibirien vertrieben worden und einige dort verhungert waren. Kein Wunder, dass er diesem Sowjetstaat, aus dem er mehrmals versucht hatte auszuwandern, keine Träne nachweinte. Trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) interessierten mich seine Geschichten. So kaufte ich sein neues Buch und wartete geduldig auf eine Widmung. „Humor macht kreativ“, schrieb er, und gespannt verfolgte ich die Bewegungen seines Stiftes. Vielleicht auch etwas aufdringlich. Aber hinter und neben mir warteten noch Andere. Da geschah es: Jemand schubste mich, ich stolperte nach vorn und stützte mich am Erstbesten ab, was ich zu fassen bekam, dem Rücken des Autors. War mir das peinlich! Ich wollte mich irgendwie entschuldigen, da sagte er, sein Kuli sei ja nicht verrutscht und … wenn ich sein Buch noch im Kommunismus besitze, dann habe es einen besonderen Wert, einen ganz persönlichen, genau für uns beide. Er wünsche sich sehr, noch den Kommunismus zu erleben, denn das sei ja die Zeit der Künstler. Er lebe jetzt schon ein wenig dort, denn Geld verdiene er mit seinem Schreiben auch heutzutage schon nicht, aber in jener Künstlerzeit fände er wenigstens mehr moralische Anerkennung. Wir müssten einfach gemeinsam mehr gegen den allgemeinen Egoismus tun. Die Banken zu verstaatlichen wäre ein sinnvoller erster Schritt.
Wahrscheinlich hätte er mir eine ganze Predigt über die Vorzüge des Kommunismus gehalten, wenn nicht die nächsten ihm ungeduldig ihre Bücher zum Signieren hingehalten hätten.
Ich wankte zu meinem Platz, verabschiedete mich unkonzentriert von ein paar Bekannten und lief zur U-Bahn. Was war das? Ich hatte den Mann doch vorher erlebt. Wie er die heutige „Freiheit“ angepriesen hatte. Plötzlich fing er an, vom Kommunismus zu schwärmen?! Dass er mir zu Munde redete, schied aus. Er konnte meine politische Einstellung nicht kennen. Was also dann?
Vergeblich versuchte ich daheim einzuschlafen. Ich wagte den Gedanken nicht laut zu denken. Aber ich fasste einen Entschluss: Ich musste einen Test wagen.

Montag, 18. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (2. Fortsetzung)

2. Fortsetzung
Wochen vergingen. Ich lebte das Leben eines Heimarbeiters, fern von lästiger Nähe ungeliebter Menschen. Aber auch der einsamste Mensch muss gelegentlich etwas für seinen Selbsterhalt tun. Einkaufen gehen zum Beispiel. Ich hatte gerade einige Briefe geschrieben, und weil der Briefkasten mehrere hundert Meter weit entfernt war, nahm ich noch ein paar Beutel mit um einzukaufen. Ich rechnete nicht damit, ein bekanntes Gesicht zu sehen, und schlenderte selbstvergessen durch die Regale. So wurde ich regelrecht aus dem Halbschlaf gerissen, als jemand kurz vor der leeren Kasse meinen Einkaufwagen rammte. Der Mann wollte sicher auch gerade „Könn´se nich aufpassen“ brüllen, da erkannten wir uns. Herr Krause aus der vierten Etage! Und schon hatte ich „Geh´n Sie schon!“ gesagt und ihn ans Band geschoben. Sonst bin ich ja nicht freundlich, wenn ich unaufmerksam bin. Diesmal aber … Aber die Krönung folgte erst. Herr Krause wartete nach dem Einpacken auf mich, lud meinen Einkauf in sein Auto und mich auf den Beifahrersitz und begann mir zu erklären, dass wir doch in einer verdammt unmenschlichen Gesellschaft lebten, wo jeder nur an sich selbst denke, und das könne nur dadurch verändert werden, dass keinem etwas gehört, womit er Profit erzielen könnte und dann auch würde. Es müsse eine neue Revolution her. Die sei reif und wenn wir endlich Kommunismus hätten …
An der Stelle musste er sich um die Schranke zur Parktasche vor unserem Wohnblock kümmern. Wir trennten uns, und Herr Krause ließ mich mit Einkauf, Revolution und Kommunismus im Treppenhaus zurück. Zu DDR-Zeiten war ich zwar nie einem begegnet, aber Fernsehen und Presse hatten mir inzwischen klar gemacht, dass man damals an jeder Wohnungstür mit einem sogenannten Inoffiziellen Mitarbeiter der „Stasi“ hatte rechnen müssen, der einen zu staatsfeindlichen Äußerungen bewegen wollte, damit er etwas nach oben zu melden hatte. War ich jetzt erstmals einem solchen Exemplar begegnet – nur eben im Dienste der anderen Seite?
Ich entschied mich für Kopfschütteln. Bloß nicht jedes Wort überbewerten…

Sonntag, 17. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (1. Fortsetzung)

1. Fortsetzung
Die Verwunderung setzte erst zu Weihnachten ein. Dieses Fest führte Jahr für Jahr Fetzen der versprengten Familie für unumgängliche diplomatische Akte zusammen. Mein Sohn beklagte sich wie erwartet über seine Probleme beim Studium und ich wies ihn darauf hin, dass das alles viel leichter zu ertragen wäre, wenn er denn endlich eine zu ihm passende Freundin fände (es stellte sich heraus, dass sein „Studienproblem“ in einer bestand, die ihn gerade hatte abblitzen lassen) und er würde das schon packen. Ein Gespräch unter Männern also, und es war nur ganz natürlich, dass ich ihm väterlich ermunternd auf die Schultern klopfte. Erst viel später wurde mir bewusst, dass ich mit der linken Hand zugeschlagen hatte.
Man stelle sich meine Verblüffung vor, als mir mein Sohn vielleicht eine halbe Stunde später ohne Vorwarnung erklärte, er habe sich das genau überlegt und er habe beschlossen, er würde Kommunist. Wörtlich genau dies!
Bis zu diesem Augenblick war die einzige politische Rolle, für die er sich je interessiert hatte, die des Magiers in „World of Warcraft“. Selbst ich hatte ihn im Unterschied zu den meisten anderen Menschen, mit denen ich zu tun gehabt hatte, nicht mit Politischem belästigt. Mir schadete es mir eher, dass ich Zusammenhänge in der Welt, in Deutschland und so weiter verstand. Wissen quält und über die Leser der BLÖD-Zeitung hätte Jesus sicher gesagt, dass glücklich sei, wer da arm sei am Geiste. Warum also sollte ich meinem Sohne nicht ein Stück Glück gönnen – noch dazu, wo er mir an fast allen Tagen des Jahres fern war und ich ihn deshalb nie hätte beschützen können?
Und nun begann er mir einen Vortrag zu halten! Ich neigte ja schon immer dazu, andere penetrant bekehren zu wollen. Dass mich nun jemand mit fast exakt meinen eigenen Worten zu bekehren versuchte, war mir bisher aber noch nicht begegnet. Dass dieser Jemand mein erwachsener Sohn war, machte die Vorstellung nicht weniger verwirrend. Mir fiel vor Schreck nichts Besseres ein, als ihn zu loben für seinen Entschluss und dass mich das freue, aber er solle gut aufpassen: Dieser Entschluss mache ihm sein Leben nicht leichter. Das war bestimmt nicht das Klügste, aber viel wichtiger war, dass in diesem Augenblick das Telefon klingelte, meine Ex uns einen schönen Tag wünschte und … der Höhenflug damit vorüber war. Erst beim Einschlafen fiel er mir wieder ein. Aber ein Spirituosenschlaf verhinderte allzu gründliche Grübelei.

Samstag, 16. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch

Mit dem Toaster fing es an oder Die Kraft der linken Hand

Die Geschichte der Menschheit gliedert sich für mich in zwei Phasen: die Zeit bevor und die Zeit, nachdem mein Toaster klemmte.
Wenn ich aufstand, also in der Zeit davor, dann tat ich immer so, als hätte ich es verdammt eilig, zur Arbeit zu kommen. Ich kämpfte die Müdigkeit mit vielen Tricks nieder und überlegte, an welchen Stellen ich Zeit sparen konnte. Besonders wichtig erschien es mir, die morgendlichen Aufgaben straff durchzuorganisieren. Im Kopf hatte ich den genauen Ablaufplan der Kleinigkeiten, welche bis zum Arbeitsbeginn zu erledigen waren. Da war das Frühstück zu bereiten, Bad und Toilette zu bewältigen, der Computer hochzufahren usw. Möglichst mussten die Arbeitsgänge so angeordnet werden, dass ich nirgendwo warten musste, dass also – nur so als Beispiel, der Computer hoch fuhr, während ich frühstückte, oder der Toaster seine Aufgabe erfüllte, während ich mich wusch.
Entscheidend war, dass ich an dem speziellen Morgen zum Frühstück wieder einmal Toastbrot beschmieren wollte. Dazu musste ich die Scheiben natürlich zuerst toasten. Wie gesagt: Das Warten auf den Toaster war einer jener Zeiträume, in denen ich anderes Nützliches erledigte. Ich schob also zwei Scheiben in den Apparat und eine legte ich quer darüber, um die Restwärme auszunutzen. Wie immer war eine kurze Toastzeit eingestellt. In dem Moment, in dem ich den Schalter nach unter drückte, war ich gedanklich bereits im Büro bei dem Computer, der in aller Ruhe hochfahren sollte. Ich lief ins Wohnzimmer, drückte ON und ging ins Bad. Es war immer ein wunderbares Gefühl, wenn ich beim Frischmachen wusste, dass zur selben Zeit mehrere Geräte etwas für mich schafften. Dieses Gefühl wurde an jenem Morgen aber durch ein anderes gestört: Ohne dass dies zu erwarten gewesen wäre, vertrieb ein kräftiges Aroma von frisch Verbranntem alle anderen Düfte.
Bereits in der Tür zum Korridor begrüßte mich Rauch. Als ich jedoch – nun schon stärker beunruhigt – die Küchentür geöffnet hatte, stand ich plötzlich in undurchdringlichem Qualm. Hätte ich ausgerechnet da an Weltgeschichte denken sollen, nur weil ich das sonst fast immer tat? Ich tat es jedenfalls nicht. Fast gleichzeitig riss ich den Stecker aus der Dose, packte mit einem Tuch den Toaster, schleuderte ihn in die Spüle (ein braunes Muster ist immer noch zu sehen), befeuchtete das Tuch und mit dem Tuch die schwelende Tapete, schob den Blumentopf vom Fensterbrett, riss das Fenster auf, rannte ins Wohnzimmer, riss auch dort das Fenster auf, begann tief einzuatmen … und als ich darüber nachdachte, was ich frühstücken könnte und dass ich glücklicher Weise noch einen halben Eimer Restfarbe vom letzten Küchenanstrich im Keller hatte, interessierten mich immer noch nicht Datum oder Weltgeschichte. Eher, ob ich eine Rauchvergiftung haben könnte, aber sicher eine stinkende Wohnung hatte. Ob mir im Ablauf der sich überschlagenden Ereignisse ein Stück Film fehlen könnte, ich vielleicht einen elektrischen Schlag bekommen und es geblitzt hatte oder Ähnliches, weiß ich nicht mehr. Heute bilde mir das ein, aber wahrscheinlich habe ich mir das nachher dazugedacht. Eben, weil es so wahrscheinlich ist … Aber um ganz ehrlich zu bleiben: An den alles entscheidenden Punkt – und den muss es gegeben haben – kann ich mich nicht erinnern. Ich setzte den Tag fast normal fort … also wenn Restrauch normal ist.

Donnerstag, 14. Juli 2011

2. Abschnitt: Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit

Allerdings ist es nicht immer nötig, die Zusammenhänge so komplex und verwirrend darzustellen, wie sie insgesamt wirklich sind. Wem ein Stein nach unten auf seinen Fuß gefallen ist, den interessiert weder, ob dieser Stein aus Sicht eines Australiers nach oben oder aus Sicht der Sonne in Richtung Pluto oder aus Sicht der Galaxis in Richtung ihres Mittelpunkts geflogen ist, selbst wenn alle Betrachtungen im konkreten Fall richtig wären. Den vom Stein getroffenen interessiert nur, dass er keinen Schuh angehabt hatte, Schmerzen hat, hinkt und blutet.
Halten wir also fest: Auch der so genannte gesunde Menschenverstand ist davon abhängig, was wir zuvor in den verschiedensten Formen gelernt haben. Es gibt dabei keinen Fall, bei dem nicht wenigstens ein ganz klein wenig theoretisches Wissen dabei ist. Wäre dies anders, würde jeder von uns sich heute als Erdscheibenbelatscher empfinden. (Die Sonne „geht eben auf“ ...
Wenn aber in dem, was wir – aus welchem Grunde auch immer – in dem, was wir einmal beigebracht bekommen haben, ein Fehler war, können wir daraus mit Recht ein Gebäude von „Wahrheiten“ errichten, ohne zu ahnen, dass wir die idiotischsten „Meinungen“ von uns geben. Wahr bleibt dabei nur der Zweifel. Weil wir heute wissen, wie sehr wir den Kopf über die „Meinungen“ eines Durchschnittsmenschen von vor 700 Jahren den Kopf schütteln, können wir erahnen, dass dies einem Menschen aus der Zeit 700 Jahre nach uns mit uns wahrscheinlich genauso gehen wird – nicht in allen Dingen, aber durchaus bei vielen heutigen „Selbstverständlichkeiten“. Allerdings haben wir natürlich ähnliche Schwierigkeiten über die Einzelheiten dieses Kopfschüttelns – wie ein Damaliger meine „jedem gesunden Menschenverstand widersprechende“ Weltsicht mit der Bewegung der Sonne um die Erde zurückwiese.
Anders gesagt: Wir sind leicht für dumm zu verkaufen und merken es meistens nicht. Allerdings sind wir nicht wehrlos. Es gibt natürlich immer neben jenen „Wissenschaften“ und Schulen, die uns die uns umgebende Welt als letztlich endgültig vorkauen, auch immer wissenschaftliche Zweifler. Und mit denen zusammen können wir durchaus in Geistes-Raketen steigen, um mit eigenen Augen zu sehen: Der Stein fällt für uns nicht nach oben oder unten, das macht er eben nur unter Gravitationswirkung, sondern für uns schwebt er frei im Raum. Etwas zur Entwicklung der dabei erforderlichen kreativen Fantasie kann ich vielleicht beitragen.
Also pflücken wir Äpfel vom Baum der Erkenntnis …

Mittwoch, 13. Juli 2011

2. Abschnitt: Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit

Aber man erlaube mir zuvor noch ein Kratzen an gewohntem Denken:
Das, womit wir alle Erscheinungen, mit denen wir konfrontiert werden, bewerten, nennen wir selbstbewusst den „gesunden Menschenverstand“. Das klingt so, als wäre dies „dem Menschen“ gegeben. Versuchen wir doch einmal, an eben diesem, unseren eigenen „gesunden Menschenverstand“ zu zweifeln.
Lasst mich Folgendes behaupten: Die Erde ist eine Scheibe , über der sich die Sonne bewegt.
Nein, das ist Unsinn? Gut. Einverstanden. Das weiß doch jeder, dass das falsch ist.
Aber jeder sagt doch, ohne groß darüber nachzudenken, „Die Sonne geht auf“ oder „Die Sonne geht unter“. Ist das nicht auch „falsch“? Aber entspricht das nicht unseren alltäglichen Beobachtungen?
Stellen wir uns vor, wir hätten all die Zusammenhänge von Physik und Astronomie in der Schule nicht so gelernt wie wir sie gelernt haben. Was sehen wir?
Die Sonne geht morgens auf, bewegt sich in jahreszeitlich unterschiedlichen Bahnen über den Himmel und geht auf dessen anderen Seite wieder unter. Das sieht jeder wirklich.
Nun stellen wir uns vor, wir hätten dies als richtige Beschreibung auch so in der Schule gelernt, verbunden mit der Erklärung, das alles sei der unergründliche Wille eines über dem Ganzen wachenden Schöpfers. Hätten wir daran gezweifelt? Wo kluge Leute unsere Beobachtung bestätigten?
Wie hätten wir reagiert, käme nun ein voreiliger Ketzer daher, der mit (für uns nicht nachvollziehbaren „wissenschaftlichen“ (?!)) Argumenten zu erklären versuchte, die Erde drehe sich als Kugel mit uns obendrauf um jene Sonne da? Hätten wir ihn nicht mit gutem Recht als Spinner verlacht? Hätten wir es nicht eventuell gut geheißen, wenn der Ketzer verbrannt worden wäre, da er uns doch mit seiner Darstellung unseres Schöpfers und damit unseres paradiesischen ewigen Lebens zu berauben versuchte? Können wir heute so ehrlich sein, dass wir das in eine andere Zeit hineingeboren, mit anderem Grundwissen gefüttert wahrscheinlich so gesehen hätten? Mit wirklich „gesundem Menschenverstand“?!
Dieser Ketzer, der eine für heutige Verhältnisse „Allerweltsweisheit“ verbreiten wollte, hätte auch bei uns verdammt schlechte Karten, wenn wir uns in die Denkwelt der Zeit vor 1450 zurückversetzten … Nur weil wir ein neues Weltbild in der Schule gelernt und Bilder aus der Erdumlaufbahn gesehen haben, glauben wir Anderes zu wissen … In unsere uns natürlich erscheinende Denkwelt sind also Lehren Anderer eingeflossen.
Noch einmal: Wer kann sich NICHT vorstellen, er hätte sich unter anderen Umständen als den heutigen über die Vorstellung amüsiert, dass wenn in Australien ein Stein „nach unten“ auf die Erde fällt, er euch aus unser deutschen Sicht nach „oben“ entgegengeflogen käme? Er fällt uns doch sozusagen ein Stück entgegen! Oder hat noch niemand beim Betrachten des Globusses gedacht, die „da unten“ müssten runterfallen? Wenn nun unser Lehrer gesagt hätte, ja, natürlich fielen wir „dort“ herunter …
Für unser Verständnis „mit gesundem Menschenverstand“ ist es dabei belanglos, ob in der Schule mit Absicht, also wider besseres eigenes Wissen des Lehrers oder der ganzen Gesellschaft, oder aus allgemeinem Unwissen heraus etwas gelehrt würde, was „objektiv“ den realen Zusammenhang falsch darstellt.
(Der australische Junge könnte ja mit demselben Recht verwundert sein, dass wir nicht von der Kugel herunterfallt.)

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Dienstag, 12. Juli 2011

2. Abschnitt: Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit

Der menschliche Verstand ist Computern und Naturwesen durch seine Abstraktionsfähigkeit überlegen. Zumindest im Moment noch müssen technische Systeme ALLE Eingangsdaten bewerten, um ihre Relevanz einzuschätzen. Der Verstand überblickt schneller ein Ganzes, das, worauf es wahrscheinlich ankommt, riskiert dabei allerdings eher Irrtümer. Man denke an die Anti-Spam-Codes. Wenn da Zeichen ein wenig quer daher kommen, geht man zurecht davon aus, dass sie ein „unscharf“ betrachtender Mensch trotzdem erkennt, während die Maschine erst einmal feststellt, dass es das bekannte Zeichen nicht ist. Normalerweise ist das ein Vorteil. Wie viele Lehrer müssten die Bewertung von schriftlichen Schülerleistungen aufgeben, wenn sie nicht ein Grundwissen für Zeichen und Zeichenkombinationen verinnerlicht hätten, an das sich die einzelnen Handschriften mehr oder weniger annähern. Schriebe ein Schüler allerdings in einer deutschen Klasse griechisch oder kyrillisch, versagte das Vergleichssystem. Bei arabischen oder chinesischen Zeichen reichte es wahrscheinlich bis zu einer Erkenntnis: „Da verwendet jemand arabische bzw. chinesische Zeichen.“
Was will ich damit ausdrücken? Normalerweise geht unser Verständnis von dem aus, was es kennt bzw. was es gelernt hat – wovon es also meint, dass es es kennt. Auch, wenn etwas anders ist, als das Bekannte, greifen wir zur Erklärung auf Bekanntes zurück – und finden auch etwas. Nun stehen wir aber beim „Kommunismus“ vor etwas völlig Unbekannten und Neuen. Wir müssten also alle vertrauten Pfade verlassen und uns aufmachen, die „arabischen bzw. chinesischen Schriftzeichen“ als solche zu lernen. Aber Gnade, uns begegnen Zeichenkombinationen, die wir mit unserem erlernten Zeichensatz „lesen“ können. Dann tun wir das … auf Teufel komm raus und versuchen die nicht identifizierbaren Zeichen als schlecht geschrieben auch auf Bekanntes zurückzuführen. Wir bilden uns ein, wissen wieder …
Um ein paar Eigenschaften des Kommunismus vorausahnen zu können, hätten wir als einzigen Anhaltspunkt die Zeit vor den Klassengesellschaften. Nur … wir wollen doch nicht auf die Bäume zurück! Wir können höchstens überlegen, welche Denkweisen sich durch die zurückliegenden Jahrtausende Herrschaft zwischen den Menschen verändert haben könnten, welche also demnach sich wieder „zurückbilden“ könnten, wenn die Bedingungen, die sie gefördert haben, weggefallen sein werden. Den Hauptteil aller dieser heute als „natürlich“ und „selbstverständlich“ erscheinenden Denkweisen haben ja materielle Ursachen, die durch andere ersetzt sein werden.
Ein Teil der Formen sozialer und praktischer Vernetzung von Menschen ist heute noch nicht denkbar, weil die Beziehungen, die ihnen zugrunde liegen noch nirgends vorgelegen haben.
Analogien zum „Urkommunismus“ produzieren eine unbestimmbare Zahl von Fehlern, da gerade die soziale Hauptfessel der „Ur-Menschen“ weggefallen ist: der materielle Mangel.
Also … Unser natürliches Denken versagt also bzw. bietet uns voreilige Schlüsse an, weil wir aus Bekanntem auf für uns absolut Ungewohntes zu schließen versuchen. Wir können uns also nur mit „Krücken“ behelfen: Also solche brauchen wir Fantasie und die Logik, die wir aus dialektisch-materialistischem Schlussfolgern gewinnen können.

Montag, 11. Juli 2011

2. Abschnitt: Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit

Nein, ich habe nicht vergessen, dass ich eigentlich hatte begründen wollen, warum ich das Scheitern der Novemberrevolution in Deutschland für die größte Katastrophe der Geschichte des 20. Jahrhunderts halte. Aber um es kurz zu sagen: Eben jenes Scheitern schuf damals bereits die Bedingungen, die danach allen „Realsozialismus“ am Entfalten hinderten – in gewisser Weise bis zu dessen Untergang. Aus dem Geburtsschaden des „Realsozialismus“ erwuchsen eben die meisten folgenden „Verirrungen“ in der Wirklichkeit. Dass dieser „Realsozialismus“ gewesen ist, wie er gewesen ist, macht es nun auch so schwer, einem normalen Menschen zu erklären, wo wir tatsächlich hin gewollt hatten – und warum „wir“ immer noch dorthin wollen (müssen). Denn es ist ja wohl nicht zu bezweifeln, dass wir der angestrebten Gesellschaft in den „realsozialistischen“ Staaten wie der DDR zumindest näher gekommen waren. Aber um einen Preis, der ins „rechte“ Licht gerückt das ganze notwendige Projekt diskreditiert.
Und die Perspektive Kommunismus muss eben von den Massen gewollt werden. Es reicht einfach nicht, die Stückchen des „Kapitalismus“ nicht zu wollen, die gerade am meisten weh tun. Es reicht nicht einmal, den Kapitalismus insgesamt nicht zu wollen. Man muss auch etwas Anderes, Alternatives bewusst wollen und darauf hinarbeiten. Im Chaos des wirren Handelns der Vereinzelten reproduziert sich der Kapitalismus sonst immer selbst – und zwar als sozialdarwinistische Auslese der „Stärksten“. Also mit zumindest faschistoider Tendenz. Der „Sozialstaats-Kapitalismus“, den manche wieder haben wollen, war ausschließlich als Wirkung des Teilausstiegs aus dem Chaos durch den – wenn auch mit all seinen Kainsmalen versehenen - „Realsozialismus“ untergegangener Prägung möglich. Im „realen Kapitalismus“ können nur Starke ein vorübergehendes „Gleichgewicht“ bilden. Das heißt, es müssen ausreichend Gegenkräfte organisiert wirken, um den Kapitalismus in seinem Inneren weniger „kapitalistisch“ zu machen.
Es muss dabei wenigstens unterschwellig die Systemfrage im Raum stehen. So lange es um das Erzielen von Maximalprofit geht, wäre selbst ein Erfolg gegen die „Atomlobby“ eben nur der Einstieg in die nächste Gefahr für die Menschheit, mit der sich die dicke Knete machen lässt. So viel besser waren die Machtorgane des Realsozialismus nicht als die der kapitalistischen Staaten – trotzdem gab es in allen „Ostblock“-Ländern keinen relevanten Rauschgifthandel und keine damit zusammenhängende Kriminalität, keinen Menschenhandel, kein Rotlichtgewerbe, Ludentum usw.
Derartige besondere Profitmachereien gibt es trotz ihrer juristischen und ethischen Verfolgung in kapitalistischen Grauzonen weiter, während ihnen auf anderem gesellschaftlichen Boden einfach die Nahrung fehlt.

Sonntag, 10. Juli 2011

2. Abschnitt: Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit

Normalerweise werden alle Vorgänge aber so beschrieben, als vollzögen sie sich in einem geschlossenen System. Von allem, was „draußen“ passiert, wird abstrahiert. Es verkompliziert und lenkt ab. Nun ist ein Lagerfeuer aber immer ein offenes System: Die Reaktionsprodukte und die Masse alle Energie entschwinden in den freien Raum.
Komplizierter wird die chemische Reaktion, wenn man sie in einen (Kachel-)Ofen verlegt. Hier wird das relativ offene System nur begrenzt künstlich hergestellt. Aber nun soll es Leute gegeben haben, denen war das System zu lange offen. Die drehten den Ofen zu. Nun entstand ein relativ geschlossenes System. Relativ insoweit, als dass ein Teil der Energie weiterhin nach draußen abgegeben wurde. Das war ja auch der Sinn der Sache: Nicht der Ofen sondern das jeweilige Zimmer sollte ja wärmer werden. Aber im Verbrennungsraum verschob sich das Stoffverhältnis: Es verblieb mehr Kohlendioxid im System. Da es ausreichend heiß war, konnte ein Teil der Energie dadurch chemisch gebunden werden, dass sich das CO2 mit dem Kohlenstoff verband zu Kohlenmonoxid. Ein Teil dessen verließ jenes relativ geschlossene System, drang in das wiederum relativ geschlossene System „Wohnzimmer“ … und schläferte die dort Ruhenden dauerhaft ein.
Es reagiert eben Kohlenstoff nicht bedingungslos (nur) mit Sauerstoff …
Es ist die Verallgemeinerung erlaubt, dass „man“ bei JEDER Reaktion, die man bewusst herbeiführen will, die wesentlichen Bedingungen schaffen muss, die zum Ablauf erforderlich sind. Logischerweise muss man sie dazu kennen.
Nun gibt es den Begriff „objektiv“, den ich auch gern gebrauche. Der sagt in diesem Sinne „nur“ aus, dass eine „Reaktion“ immer stattfindet, wenn alle Bedingungen gegeben sind. Naturgesetzmäßig. Also unabhängig davon, ob man sie so beabsichtigt hatte.
Um auf das Kohlenmonoxid aus dem Ofen zu kommen: Selbstverständlich kann man die Reaktion auch vorsätzlich zum Suizid oder Mord benutzen. Es ist aber nicht die Frage, mit welcher Absicht zu einem bestimmten Augenblick der Ofen zugedreht worden war, sondern dass das dann dann geschah, als die Bedingungen für die CO-Redox-Reaktion besonders günstig waren.
Zum Nachdenken über die Verwendbarkeit eines solchen Bildes für gesellschaftliche Handlungsweisen sollte noch hervorgehoben werden :Im Umgang mit dem Ofen wurde immer mit mindestens einem Vorsatz gehandelt …
Man darf das nicht mit „Determinismus“ verwechseln. Um gesellschaftliche Vorgänge zu erklären, meinetwegen auch nur die psychologische Erklärung für das Handeln eines Menschen, muss vereinfacht werden. Man vernachlässigt immer Besonderheiten, die bei einem bestimmten Vorgang nebensächlich sind oder scheinen. Baut man ein geistiges System aus solchen Vereinfachungen, ist immer richtig zu sagen, „Wenn …, dann …“ So mag zwar die „Arbeiterklasse“ in ihrem „Wesen“ die Klasse sein, die berufen gewesen wäre, längst den Weltsozialismus errichtet zu haben, aber …
Auf einige Aber können wir hier zurück greifen.

Samstag, 9. Juli 2011

2. Abschnitt: Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (8)

Von einer gegebenen Menge Wasser gehen nämlich nie alle gleichzeitig vom flüssigen in den gasförmigen Zustand über. Man kann also unterscheiden zwischen „Revolutiönchen“ als Vorgänge bei jedem einzelnen Teilchen und der „Revolution“ als Prozess. Letztere ist für uns interessant. Sie beginnt mit den ersten gehäuften „Revolutiönchen“ und endet, wenn alles Wasser verdunstet ist.
Hübsch zu beobachten sind Probleme solcher Revolutionen beim Kochen im Topf. Dort kommt nämlich erschwerend dazu, dass die ersten Wasserteilchen, die die Siedetemperatur erreicht haben, unten, also bei der Herdplatte als Energiequelle auftreten. Die müssen nun zwischen den kühleren Teilchen hindurch zur Oberfläche, sprich: zu ihrer individuellen Revolution. Dabei erwärmen sie die anderen mit – dadurch gibt es unter Umständen „Konterrevolutiönchen“, weil ein Teil der aufsteigenden Teilchen wieder abkühlt – die meisten aber dampfen in die Freiheit ab. Es verdampfen also im offenen Topf Wassertropfen, obwohl das Wasser noch nicht kocht.
Der Ablauf dieses Revolutionsspiels lässt sich manipulieren. Durch einen Deckel. Durch Gewicht auf dem Deckel. Auf diese Weise entsteht ein geschlosseneres System. Denn ein Teil der zugeführten Energie verbleibt nicht in den zu revolutionierenden Wasserteilchen, sondern wird von der kühlen Umgebung abgezogen. Je bewegter diese Umgebung ist, umso mehr wird abgezogen. Ohne beständige Neuzufuhr von Energie hat das „Restwasser“ u. U. noch einen Moment 99, dann 98, 97 usw. Grad und Aus ist´s mit Revolution. Steht dagegen der Inhalt des Topfes unter Druck, kann ein Teil der Teilchen deutlich mehr als die „normale“ Siedetemperatur haben … und bleibt trotzdem flüssig. Dieser Teil holt dann seine Revolution mit dem Entfernen des Deckels in kürzester Zeit geballt nach. Wie lange die beiden Abläufe zu beobachten sind, ist dabei nicht die Frage. Revolution ist der ganze Vorgang, durch den aus einem Topf mit Wasser ein Topf mit Luft geworden ist.
Unser menschliches Denken abstrahiert meist davon, dass auch in der Natur alle Prozesse an konkrete Bedingungen gebunden sind. Viele dieser Bedingungen nehmen wir gar nicht als solche wahr, weil sie uns als selbstverständlich gegeben erscheinen. Das sind sie ja meist auch.
Wer denkt schon darüber nach, wenn er ein Lagerfeuer entzündet, dass die dabei sich vollziehende Hauptreaktion an mehrere „Bedingungen“ geknüpft ist. Kohlenstoff reagiert mit Sauerstoff zu Kohlendioxid, wobei die erwünschte Energie frei wird. Bedingungen?! Na, Sauerstoff und Kohlenstoff müssen da sein … und was da brennen soll, sollte trocken sein. Da hört die Durchschnittsbetrachtung aber schon auf.
… Wer käme auf die Idee, dass für diesen Vorgang mindestens noch ein „offenes System“ und demzufolge eine gewisse „Kälte“ (und das Fehlen anderer Stoffe mit ähnlichen Wirkungen wie das Wasser) gehört? Besonders die Kälte wird als „Vorsatz“ unterstellt – wir betreiben ja diese Verbrennung, um uns zu wärmen. An das „offene System“ aber denkt kaum jemand.

Freitag, 8. Juli 2011

2. Abschnitt: Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (7)

An dieser Stelle stelle ich einfach eine Behauptung in den Raum: Alles, was wir bisher an über den Horizont des Kapitalismus Hinausweisendes erlebt haben, war im originär marxistischen Sinne noch kein „Sozialismus“, „Kommunismus“ schon gar nicht. Wenn wir schon Begriffe brauchten, dann war dies am ehesten eine maximal „abgebremste Revolution“.
Wir dürfen uns dabei „Revolution“ nicht im engsten politischen Sinn als eine „Machtergreifung“ vorstellen, Im philosophischen Sinne beschreibt der Ausdruck „Revolution“ ja den relativ schnellen Übergang von einer „Qualität“ zu einer tatsächlich grundsätzlich neuen.
Nun dürfen wir uns „schnell“ nicht aus der Perspektive eines Menschenlebens vorstellen. Bei der Frage der „kommunistischen Gesellschaftsformation“ geht es darum, eine menschliche Kultur zu erschaffen, die über 10000 Jahre „Klassengesellschaft“ mit ALLEN ihren Elementen ins Grab der Geschichte versenkt. Was die Menschheit in ihrer gesamten Entwicklung aus dem Tierreich heraus entwickelt hat, wird auf neuer Grundlage gestaltet. Die Menschheit gestaltet ihre Welt als Ganzes erstmals bewusst und vorsätzlich geplant. Erstmals kann sie das. Schon allein deshalb ist es nicht mit dem Schuss eines Panzerkreuzers getan.
In diesem Sinn kann sogar der gesamte „Sozialismus“ noch als „evolutionäre Revolution“ verstanden werden. Also es muss sich das grundsätzlich neue erst entwickeln. In ihm sind BESTIMMTE GRUNDLAGEN notwendigerweise real vorhanden, während andere sich darauf aufbauend erst allmählich ausprägen können. Das schließt nicht aus, dass entgegen Marx, Engels und Lenin selbst der Übergang vom Sozialismus zum entwickelten Kommunismus von der Form her „revolutionär“ vollzogen werden wird. (Das wäre z.B. abhängig von der Stärke der institutionalisierten Bürokratie.) Vom philosophischen Wesen her ist er es auf jeden Fall.
Schieben wir eine naturwissenschaftliche Vereinfachung ein, um die philosophischen Beziehungen von Qualität und Quantität, Revolution und Evolution zu veranschaulichen.
Der Übergang von flüssigem Wasser und Wasserdampf ist z. B. eine Revolution. Als uns das in Studentenzeiten erklärt wurde, begann die Erklärung bereits mit einer Unterstellung: Das Wasser in „Zimmertemperatur“ wird zum Kochen gebracht. So dargestellt ist der Vorgang bereits ein bewusst beabsichtigter. Diese Gerichtetheit war erforderlich, um folgende Frage aufzuwerfen: Welche aufgewandte Energie ist wichtiger: die, die gebraucht wird, um das Wasser von 20 auf 30, von 30 auf 40 … von 80 auf 90 Grad zu erhitzen oder die, die den Übergang der Wasserteilchen von ihrer flüssigen in die gasförmige Form ermöglichen? Nur der letztere Vorgang erscheint als „Revolution“ - das andere ist Evolution. Damit es aber zu einer solchen Revolution kommen kann, sind die entsprechenden Evolutionen, also die allmählichen Aufladungen der Wasserteilchen mit kinetischer Energie unumgänglich. Es gibt kein Teilchen, das direkt von 20 Grad auf Dampf umschlägt.
Um die Sache nicht zu sehr zu verkomplizieren, klammere ich jene Verdunstung aus, die aus der natürlichen Luftbewegung und der sich daraus ergebenden „Vermischung“ der Stoffe ergibt.
Trotzdem enthält das Modell bereits Haken, die auf unsere gesellschaftlichen Beziehungen / Revolutionen übertragbar sind.

Donnerstag, 7. Juli 2011

2. Abschnitt: Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (6)

Nein, ich behaupte nicht, das dies allein die Geschichte des „Realsozialismus“ erklärt. Sobald man aber diese Aspekte weglässt, entsteht ein verzerrtes Bild.
Was liegt denn hinter uns: Lebensschreie einer Steißgeburt. Schafften wir es, etwas mehr „weltgeschichtlich“ auf die DDR und jenen damaligen „Realsozialismus“ zurück zu blicken, dann müssten wir uns eigentlich wundern, welch gewaltige Leistungen dieses unter ungünstigsten Bedingungen ans Licht gekommene Etwas erreicht hat.
In gewisser Hinsicht war diese frühe Gemeinschaft selbstmörderisch sozial. Leider war dies mit einem Haufen von zerstörten Illusionen verbunden, die ihren Teil zum Zusammenfall des Anlaufs beitrugen.
Zu den Illusionen gehörte das totale Verkennen des Gegners. Klar. Heute ist einigen in den „eigenen Reihen“ die Maske vom Gesicht gefallen. Sie haben sich als Hirngeschwülste eingebildeter Macht geoutet, waren schlicht Verräter. Mal selbstverliebt wie Gorbatschow, der sich heute darin sonnt, welch „Mächtige“ ihm die Hand geben – und der sich als Erfinder eines offenen Sozialismus feiern ließe, wäre alles anders gekommen. Mal einfach eklig und persönlich gefährlich voll Mitmenschen-Verachtung wie so ein Schabowski-Bezirkssekretär. Ohne sie wäre das Zurückdrehen des Zeitenrades nicht möglich gewesen.
Dann all die offenen und versteckten „Klassenfeinde“. Einige von ihnen schafften es sogar, in die Reihen philosophisch-politischen Unsinn in die Theorie der Staatssozialisten zu schleusen - die Floskel von der „Friedensfähigkeit des Imperialismus“ zum Beispiel. Der Expansionsdrang des Kapitalisten endet immer nur an den Mauern der Stärkeren – und bei Strafe seines Untergangs muss er nach Überwindung dieser Mauern suchen.
Leider überließen die „Klassiker“ der „marxistischen“ Weltanschauung an manchen Stellen unscheinbare, aber wesentliche Löcher im geistigen System. Eines davon war der Gedanke, dass es nicht nur den einen umfangreichen Übergangszeitraum vom Kapitalismus, also der letzten auf Ausbeutung aufgebauten Klassengesellschaft, zum Kommunismus als klassenloser Gesellschaft geben muss. Diesen einen Übergangszeitraum, den man großzügig einer gemeinsamen „kommunistischen Gesellschaftsformation“ zurechnen kann (worüber man in 50000 Jahren die Achseln zucken wird) und Sozialismus nennt.
Da Marx eben vom im Wesentlichen weltweit „gleichzeitig“ erfolgenden Austritt der durch die Arbeiterklasse geführten Menschheit aus der alten in die neue Ordnung ausging, hatte er keine Veranlassung, über den Charakter einer „Weltgesellschaft“ nachzudenken, die den Übergang erst zu diesem „Sozialismus“ vollzieht. Und Lenin wich der Systemfrage einfach aus: Als er merkte, der Sprung würde nicht wunschgerecht landen können, hielt er vorsichtshalber den „Aufbau des Sozialismus in einem Land“ für möglich. Ansonsten hätte er den Menschheitstraum grundsätzlicher „Gerechtigkeit“ in unbestimmbare Ferne verschieben müssen – in der Art, die Revolution kommt mit dem neuen Messias. Nein, das konnte er nicht verantworten - er probierte das Mögliche …
Eines aber war nicht möglich: der Sozialismus. Es konnten nur einige Teilgrundlagen für den tatsächlichen Sozialismus geschaffen werden.  

Mittwoch, 6. Juli 2011

2. Abschnitt: Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (5)

Aber dazu wäre ja noch etwas Anderes gekommen: Eine objektiv bessere Ausgangslage auch für innere Demokratie. Wie war die Wirklichkeit? Ein alleiniger Riese konnte gleichberechtigte Mitsprache höchstens simulieren lassen. Es war doch irgendwie selbstverständlich, dass eine Macht, die fast 30 Jahre sich hatte irgendwie einrichten müssen, allein klar zu kommen, nach dem nächsten Krieg Schwierigkeiten mit der „Gleichberechtigung“ aller Partner haben musste, die ohne sie allesamt nicht lebensfähig gewesen wären (von der Führungsrolle der einzigen Siegerpartei ganz abgesehen).
Wie anders hätte auch das objektiv sein können, wenn von Anfang an ein Netz gegenseitiger Abhängigkeiten zum gemeinsamen Vorteil hätte entstehen können. (Ich möchte das Rapallo-Vertragswerk ja nicht auf Null setzen, aber hier geht es um die Ausgestaltung eines Wirtschaftsystems.)
Ich darf sogar auf anderer Ebene spekulieren: Ohne den deutschen Faschismus wäre die Atombombe zumindest nicht zu jenem Zeitpunkt einsatzreif gewesen. Mit der amerikanischen (hier wage ich den Ausdruck „amerikanisch-deutschen“) Atombombe aber wäre die Selbstkasteiung der Sowjetunion zum Gleichziehen (noch) nicht nötig gewesen – unmittelbar nach der Weltkriegsverwüstung des eigenen Potentials.
Aber es war ja nicht der Weltkrieg allein und die Angst danach, gleich wieder in den nächsten mit einem übermächtigen Gegner zu geraten. Es war eben die Hektik, mit der supraschnell eine sowjetische Tonnenschwerindustrie aus dem eigenen Lebensstandard herausgeschnitten worden war – wenn man die folgenden Panzerbaukapazitäten berücksichtigt zu Recht. Das hatte sowohl wirtschaftliche Folgen als auch „ideologische“: Wann hört (einmal bwährte) Tonnenideologie auf? Wann ist der Punkt gekommen, wo an die Stelle des Kommandierens, der Kommissare, die das letzte Wort haben, Wirtschafts- und Gesellschaftsdemokratie treten kann … und muss? Wenn es doch so oft nur mit Gewalt hatte gehen können …
Mensch ist Mensch – auch wenn er „Kommunismus“ leicht über die Lippen bringt. Und eine „bewährte Methode“ gibt man nicht so leicht auf.
Auf der anderen Seite steht die menschliche Anpassung: Wenn eben immer der Kommissar das Richtige gesagt hatte – allein deshalb, weil er der Kommissar war - dann betäubt das die Selbstüberwindung zum Mitdenken. Dies vor allem unter Bedingungen, wo Väterchen Zar so glatt von einem Generalissimus abgelöst worden war.
Diese Menschen „frei“ zu lassen, ihre Geschicke in eigene Hände nehmen zu lassen, ist dasselbe Risiko, wie Menschen, die Monate lang in einer finsteren Höhle gehaust hatten, ins Licht hinaus zu scheuchen. Sie werden geblendet, hilflos … in die nächste dunkle Ecke torkeln.

Dienstag, 5. Juli 2011

2. Abschnitt: Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (4)

Als sicher anzusehen wäre ein anderer Verlauf dessen, was das junge Sowjetrussland als „Interventions- und Bürgerkrieg“ erlebte. Wahrscheinlich wäre dieser Krieg mit weniger weißem Terror und damit weniger rotem Gegenterror zu Ende gegangen.
Sicher hätte auch das, was wir als „Versailler Vertrag“ und seine Umsetzung kennen, anders ausgesehen. Und es kann natürlich nicht bezweifelt werden, dass dieses Werk eines imperialistischen Kriegsendes für die in Deutschland an der Macht gebliebenen Rüstungskonzerne die „Munition“ geliefert hat, in breiten Volksschichten eine Remilitarisierung zu akzeptieren.
Sicher ist drittens, dass eine richtige Volksmacht zum Aufbau des Sozialismus die Entwicklung des „Nationalsozialismus“ - also real des Faschismus – verhindert hätte.
Als sicher kann angesehen werden, dass es den Weltkrieg Nummer 2 nicht in der uns bekannten Art gegeben hätte (mit der deutschen Kriegsschuld also).
Zu diesen Punkten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kommen solche mit hoher Wahrscheinlichkeit. Der wesentlichste darunter ist die Erwartung, dass auch in anderen europäischen Ländern positivere Entwicklungen wahrscheinlicher gewesen wären. Ich denke da u.a. an das Schicksal der ungarischen Räterepublik oder die italienische Entwicklung zum ersten „Faschismus an der Macht“. Da ließe sich viel spekulieren.
Entscheidend ist etwas Anderes: In der realen Geschichte hatte 1922 ein Anlauf zum Sozialismus auf einem Stück Welt überlebt, dem zu diesem Zeitpunkt auf dem Gebiet der „Produktivkräfte“ nur minimale Ansätze für eine überlebensfähige sozialistische Gesellschaft zuzubilligen waren. Überlebt hat das Gebilde wegen seiner räumlichen Ausdehnung. Eine Welt von Hinterweltbauern, die teilweise auf einem Entwicklungsniveau verharrten, das die deutschen Bauern zur Reformationszeit bereits überwunden hatten. Dem standen ein paar dünn gesäte Leuchttürme des Fortschritts gegenüber. Weltweit isoliert, gezwungen aus eigener Kraft in einen Rundum-Fortschritt zu rasen. Und durch Krieg und Nachkrieg waren selbst frühere Wirtschaftsteile zerstört, während eigentlich ein autarktes System hätte aufgebaut werden müssen. Alles selber machen von allen Rohstoffen, alle Grundindustrien bis hin zu allen Endfertigungen / Bedürfnisbefriedigungen … mit einem Minimum an Fachkräften. Auf der anderen Seite erwartete man von dem einzigen „Sieger“ in den Reihen der sozialistischen Bewegung Führung in jeder Ebene.
Nun stelle man sich vor, neben dem Rohstoffland Russland hätte wenigstens die – wenn auch vom Krieg zurückgeworfene – Industriemacht Deutschland gestanden. Für den Mathematiker wäre das ein Entwicklungsvergleich wie wenn man 4 x 4 x 4 x 4 neben 2 x 2 x 2 x 2 setzt. Anfangs nur doppelt gute Ausgangsposition, aber bald stünde es 256 : 16! Allein was die gegenseitige wirtschaftliche Befruchtung beträfe...  

Montag, 4. Juli 2011

2. Abschnitt: Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (3)

Die Antwort fällt leichter, wenn man berücksichtigt, dass Marx aus der prinzipiellen Gesetzmäßigkeit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft – die in der Vergangenheit aufgezeigt werden konnte – die Notwendigkeit und Möglichkeit der weiteren Entwicklung, einschließlich der diese Entwicklung tragenden Kraft ableitete. Die „Arbeiterklasse“, so meinte er, sei die erste Klasse, die dank ihrer Rolle in der Produktion – nämlich doppelt „frei“ zu sein (von vorgeschriebenen Abhängigkeiten und Eigentum) – die die Klassenherrschaftsverhältnisse als Ganzes beseitigen könne.
Die Arbeiterklasse entwickelte sich in der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts stürmisch … entfaltete aber außer der Pariser Commune kaum wesentliche Aktivitäten, ihrer eigenen Führungsrolle im Weltgeschehen gerecht zu werden.
Erst mit dem 1. Weltkrieg war eine „revolutionäre Situation“ am Reifen: Eigentlich verlief der Krieg für keine Seite ganz nach Wunsch. Mehr oder weniger sah es danach aus, dass die Herrschenden nicht mehr auf die bisherige Weise würden weiter herrschen können, und dass die Beherrschten nicht mehr so weiter leben konnten wie bisher. Das Mehr traf besonders für Deutschland zu, je mehr sich die Unmöglichkeit eines Sieges abzeichnete, während die Volksmassen richtige Hungersnöte durchleben mussten.
Unter diesen Bedingungen schrieb Lenin sein gern verkanntes Buch „Staat und Revolution“, in dem er das Ziel einer sich sozialistisch auflösenden Klassenmachtgesellschaft so „wissenschaftlich“, wie es zu jener Zeit maximal möglich war, beschrieb. Gern wird viel in Ausführungen hinein gedeutet, die er nur wenige Monate später machte (hauptsächlich die „Aprilthesen“), in denen er scheinbar grundsätzliche Positionen wieder korrigierte. Das hat er aber im Grundsatz eben nicht.
Wir müssen uns nämlich angewöhnen, dass zum dialektischen Denken auch das Sich-darüber-klar-Werden gehört, auf welcher Ebene wir uns gerade bewegen. Und „Staat und Revolution“ beschrieb eine Welt (!) des „Sozialismus“, auf die hin zu steuern 1916 durchaus theoretisch notwendig war (und möglich schien) – während 1917 die Kräfte miteinander rangen, die einen solchen Weg erst einleiten konnten. Nun stellten dich die Fragen auf eine Ebene, auf der man zwar Sozialismus haben wollte, aber mindestens in wesentlichen Teilen der Welt noch nicht hatte.
Noch immer blieb aber die Hoffnung: Wir (also die Bolschewiki) stehen an unserem Platz, erfüllen unsere Pflicht, andere stehen an anderen Plätzen bereit, dort die ihre zu erfüllen.
Eine besondere Rolle kam dabei Deutschland zu. Hier waren die weltgrößten Potenzen der inneren Wirtschaftskraft konzentriert. (Die Weltmacht Nummer 1, England, war durch die Ausbeutung ihrer Kolonialwelt stärker ein „Rentnerstaat“, wo den Bewohnern mehr Almosen zugeworfen bekamen.
Sowohl der relative Sieg der russischen Oktoberrevolution als auch die Niederlage aller die bürgerlichen Horizonte übersteigenden Elemente in der Novemberrevolution in Deutschland hatte zwar konkrete Gründe, beide Ergebnisse waren aber nicht so zwingend notwendig, wie beispielsweise der „Ausbruch“ des Weltkriegs (bei dem nur der Anlass, also das Datum des Beginns Zufall gewesen war.) Dass – um nur ein Beispiel zu nennen – die Kommunistische Partei Deutschlands nicht am 30.12.1917 gegründet worden war, war kein Sachverhalt, den Lenin selbst im April 1917 hätte berücksichtigen können.
Also spielen wir einmal das unwissenschaftliche Was-wäre-gewesen-wenn-Spiel und stellen Überlegungen an, was sich beim Sieg einer sozialistischen deutschen Novemberevolution für die Welt wahrscheinlich (!) alles verändert hätte.  

Sonntag, 3. Juli 2011

2. Abschnitt: Hebamme Geschichte und ihre Ungeschicklichkeit (2)

Dieses Kriegsende, wie es ausgesehen hat und was da hätte kommen sollen oder müssen, ist das Problem.
Dazu muss ich einen Ausflug in die verschachtelte Welt des „Marxismus/Leninismus“ wagen. Dies ist nämlich für Vereinfacher der Name eines Systems der Weltanschauung. Philosophie gehört dazu, politische Ökonomie und das, was manche großkotzig „wissenschaftlichen Kommunismus“ genannt wissen möchten. Eine Stufe sachlicher wäre das also der dialektische und historische Materialismus. Den kann man am kürzesten so beschreiben: Alles, was existiert, ist materiell und insoweit immer erkennbar (nur evtl. noch nicht erkannt) und dementsprechend veränderbar. Aus solcher materiellen Grundlage erwächst ein widerspiegelndes Bewusstsein, das auf seinen Ursprung zurück wirkt.
Dialektik ist eine Weltsicht in Zusammenhängen. Alles ist Gewordenes (und Vergehendes) und steht in Wechselwirkung mit der „restlichen“ materiellen Welt. Das Materielle in der menschlichen Gesellschaft sind seine wirtschaftlichen Beziehungen, die aus dem Entwicklungsstand der „Produktivkräfte“ erwachsen.
So wie die technischen Möglichkeiten einer Produktion entwickelt sind, so finden sich die Menschen in „Verkehrsverhältnissen“ miteinander wieder. Diese bilden einen Rahmen, der langfristig den Rahmen der menschlichen Entwicklung abzugeben hat, und der gesprengt werden muss, wenn er dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte nicht mehr entspricht.
Das klingt hoch verwissenschaftlicht, ist es eigentlich auch, hat aber selbst für gebildete „Marxisten“ gemeine Fallstricke. Weil die Gesetze der menschlichen Gesellschaft wirken wie Naturgesetze. Allerdings kann - so wie bei den Fallgesetzen Newtons die Erde (und der Gravitations-Gegenkörper) vorhanden sein muss - ein „gesellschaftliches Gesetz“ nur beim Handeln von Menschen in der Gesellschaft existieren und funktionieren. Das aber ist wiederum nicht ohne ein bestimmtes Bewusstsein zu haben. Und verdammt nochmal: Das sind Beziehungen, die nicht der Schulmathematik entsprechen, weil das Handeln von Menschengruppen Summe des Handelns der dazu gehörenden Menschen ist und jedes einzelne Bewusstsein durch mehr Faktoren beeinflusst wird, als für den konkreten Sachverhalt relevant wären.
Sprich: Der Marxismus erfasst den Klassenkampf als Triebkraft der menschlichen Entwicklung. Aber obwohl es Interessen gibt, die große Menschengruppen aufgrund ihrer Stellung in der materiellen Produktion objektiv gemeinsam haben, heißt dies noch lange nicht, dass sie sich dessen bewusst sind und entsprechend handeln wollen – und dann handeln sie natürlich auch nicht. So wie die Existenz von Gravitation dort belanglos ist, wo es nur einen Körper gibt.
Auf all dies muss ich wahrscheinlich näher eingehen. Im Moment aber ist die Frage wichtiger, was das mit den Katastrophen des 20. Jahrhunderts zu tun hat.