Samstag, 11. Juni 2011

1. Abschnitt: Wie ich trotz und wegen der DDR ... (5)

Sie verführte mich damit zu einem Trugschluss: Voreiliger Weise dachte ich, so sei politische Bildung. Im Geschichtsunterricht wurde ich eines Besseren belehrt.
Der Geschichtslehrer war ein sehr autoritär auftretender Mann. Er gehörte zu den wenigen Lehrern, die nicht bereit waren, ein positives Verhältnis zu unserer Klasse zu entwickeln. Ich will nicht behaupten, dass er einem unserer Mitschüler verübelte, ihn bereits in der 5. Klasse laufend korrigiert zu haben. Der Junge war eben Urzeit-Freak, wusste also viel vom Leben der Urmenschen und stellte damit die vorgebliche Unfehlbarkeit der Lehrer schon früh in Frage. Nein, der Geschichtslehrer hatte eine große Liebe: seine optisch faszinierenden Tafelbilder. Mit feine Schrift verteilte er über die ausgeklappte Tafel (mitunter einschließlich Rückseite) Kästchen, zwischen denen er Pfeile fliegen ließ. Vorher – nachher, Ursache – (Anlass) – Wirkung …
Extrem schematisch, obwohl nicht einmal undialektisch. Von der Ursache ein dicker Pfeil zur Wirkung und darunter dann der dünne Pfeil, der besagen soll, dass das, was eigentlich Folge war, verändernd auf die ursprüngliche Ursache zurück wirkte und dass es eben Haupt und „Neben“-Gründe derselben Sache gebe.
In diesem Fach wurde erstmals laut das Wort „Kommunismus“ ausgesprochen.
Nun war ich sozusagen mathematischer Logiker. Über den Begriff wusste ich wenig. Eigentlich nur, dass das eine „klassenlose Gesellschaft“ wäre, in der es „keinen Staat“ gäbe. Mit Klassen konnte ich wenig anfangen, Staat aber, da gehörten also mindestens all die Gewaltinstrumente dazu. Die hat jeder, um sich selbst (gegen den / die Anderen) zu verteidigen. Würde also eine Seite ihren „Staat“ verschwinden lassen, wäre der Weg der anderen Seite frei, die eigene Macht zu erweitern. Also kann es einen „Kommunismus“ auf der Welt auf jeden Fall nicht geben, wenn es zugleich noch Kapitalismus gäbe.
Diese Schlussfolgerung habe ich auf jeden Fall ausgesprochen, zur logischen Herleitung kam ich nicht mehr ganz. Zu meine Wortwahl kann ich natürlich nichts mehr sagen. Aber auf jeden Fall bekam ich das Wort verboten. Ein Schwall von Flüchen wurde über mich ausgeschüttet. Die übelste Bezeichnung, mit der ich versehen wurde - mit der ich aber nichts anzufangen wusste, außer dass es des Tonfalls wegen etwas Grauenvolles sein musste – war „Trotzkist“. Offenbar war das also noch etwas Schlimmeres als Faschist und ich hatte gerade die schlimmstmögliche Feindpropaganda in den Raum geworfen.
Alles nur wegen einer absolut primitiven logischen Schlussfolgerung, hinter der ich, wenn auch mit einem breiteren Spektrum von Begründungen, auch heute noch stehe. Wenn ich dem entsetzten Doggen-Lehrer noch an den Kopf geworfen hätte, dass also der entfaltete „Kommunismus“ keine Politik der friedlichen Koexistenz kennen könne – rein logisch, weil dies ja eine Beziehung zwischen Staaten sei, die es per Definition nicht mehr gebe – wäre entweder er mit dem Notarzt oder ich in Ledermantelmann-Begleitung aus dem Klassenraum geführt worden.
Natürlich habe ich mir bei diesem Lehrer weitere eigene Schlussfolgerungen verkniffen.

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