Sonntag, 12. Juni 2011

1. Abschnitt: Wie ich trotz und wegen der DDR ... (6)

Meine Sicht der deutsch-deutschen Fragen stammte sowieso nicht aus Schulunterrichtsquellen. Schwerin war glücklicherweise kein „Tal der Ahnungslosen“. Schon früh bezog ich die Nachrichten aus alle Welt nicht rotgefiltert aus der „Aktuellen Kamera“ sondern gegenmanipuliert von der „Tagesschau“. Allerdings hatte ich eben schon gelernt, dass es keine „Nachrichten“ an sich gibt. Mit etwas kritischem Blick gab es dort tatsächlich das zu entdecken, was der so verschrieene „Sudel-Ede“ Schnitzler aus den Westsendungen extrahierte. Auch an der Stelle war ich früh Außenseiter: Mir gefiel der Typ, der in der trüben Brühe der anderen Seite fischte – und mir schien logisch einleuchtend, dass das Salz (grins: Glutamat usw.), das vom Gewicht her den kleinsten Teil solcher Brühe ausmacht, doch dessen Wesen war – sonst wäre sie ja Wasser.
Ganz unschuldig an meinem Verständnis „kapitalistischen“ Denkens war sicher auch nicht, dass alle Verwandtschaft im Westen lebte. Langsam der kindlichen Überheblichkeit entwachsend entwickelte ich ein feines Gespür für Herablassung und Überheblichkeiten anderer Leute. Es mag ein Stück Selbsthass gewesen sein, von fremden Hochnäsigkeiten besonders stark abgestoßen zu sein.
Dazu kamen die Westpakete. In meine Erinnerung eingebrannt bleibt der Geruch ranziger Rama. Es waren noch mehr „Lebensmittel“ drin, aber auch Sachen zum Anziehen, die schon (ab)getragen waren. Ich empfand es als beleidigend, sah zwar ein, dass Geschwister und Eltern Beziehungen zueinander haben … aber sah eigentlich nicht ein, warum das Zeug nicht zurückgewiesen worden war. Meine Mutter war eine kriegspragmatische Frau. Sie konnte immer alles gebrauchen, filterte Notwendiges aus ihrer Verkäuferinnen-Tätigkeit und unserem Garten heraus, sodass wir nicht nur keinen Hunger kannten, sondern uns ausgesprochen abwechslungsreich ernährten (und auf ranzige Margarine bestimmt nicht warteten). Erst viel später erfuhr ich dann die Hintergründe jene Sorge für uns armen „Zonenbewohner“, was mein Bild vom im Westen geförderten Eigennutz nur bekräftigte:
Meine Großeltern (also die Eltern meine Mutter) hatten in kleinbürgerlichen Verhältnissen in der Nähe von Breslau gelebt. Dies reichte in der 20er Jahren zu einem kleinen Häuschen. Dann kam die Flucht. Im Westteil Deutschlands wurden sie Flüchtlinge, im Ostteil wir Mitbürger. Als Flüchtlinge bekamen sie für ihren verlorenen Besitz eine Entschädigung – diese nahmen sie „treuhändlerisch“ auch für die Verwandte außerhalb der „freien Welt“ entgegen. Akribisch verrechnete meine Tante die Paketinhalte mit diesem „Treuhandvermögen“ meiner Mutter – und natürlich wurden die Pakete als Unterstützung der bedürftigen Verwandtschaft in den Ostgebieten steuermindernd (pauschal, Masse beachten!) geltend gemacht. Vom Ergebnis war ihr letztlich eine „Geldwäsche“ zu ihren Gunsten gelungen. Man hätte es Beschiss nennen können. Zumindest solidarisch (grins) war es nicht.

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