Samstag, 18. Juni 2011

1. Abschnitt: Wie ich trotz und wegen der DDR ... (12)

Es folgte eine beruflich extrem wilde Zeit. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre ich dabei in eine heutigen, also „kapitalistischen“ Gesellschaft versumpft. Genauer: Ich hätte so viele Sprünge einfach nicht geschafft. Zumindest hätte ich meinen Lebenslauf da wohl entweder fälschen müssen oder zu akzeptieren gehabt, dass ich als unzuverlässig abgestempelt für die meisten Vorstellungsgespräche überhaupt nicht eingeladen worden wäre. Es mag ja sein, dass manches Scheitern auf den ersten Blick nicht als solches erkennbar gewesen war, aber mehrmals brachte ein Scheitern an einem Punkt mich eine Stufe weiter auf der Entwicklungsleiter. Innerhalb von drei Jahren wechselte ich zwischen drei Berufen in Handel, Kultur und Industrie, wurde ich von der „Nationalen Volksarmee“ nach einem halben Jahr als unverdaulich wieder ausgespuckt und … fand dank der erwünschten Praxiserfahrungen einen Studienplatz als künftiger Lehrer.
Aber von Anfang an:
Es wäre mir sicher möglich gewesen, nach der 8. Klase aufs Gymnasium zu wechseln. Diese Einrichtung hatte aber bei uns den Ruf, nur etwas für strebsame Mädchen zu sein. Außerdem hatte ich keinerlei Berufsziel. Also was ich NICHT wollte, da hätte ich eine Antwort gehabt: Mein Geld mit körperlicher, besonders handwerklicher Arbeit zu verdienen, war NICHT mein Ding. Aber positiv etwas wollen?
So setzte ich, richtiger meine Mutter, das einzige Mal auf „Protektion“: Mein Vater hatte sich also dafür einzusetzen, dass ich einen der drei Ausbildungsplätze zum „Wirtschaftskaufmann mit Abitur“ in seinem Betrieb bekam. Mutter und Schwester waren Verkäuferinnen, also im Handel, Vater in der Großhandelsgesellschaft „Waren täglicher Bedarf“. Die Ausbildung interessierte mich … durchschnittlich. Ich konnte ja aber nicht nichts machen. Ich war also „untergebracht“. Ich durchlief in der Ausbildung die verschiedensten Abteilungen und Bereiche eines Betriebes, der für die gesamte Versorgung Schwerins mit alltäglichen Waren zuständig war. Zwischendurch versuchte ich einmal, mich für eine Laufbahn im Bereich der Schreiberei zu bewerben. Das ging natürlich schief. So wurde ich als kleiner Sachbearbeiter in der Süßwarenabteilung übernommen. Kein Traumjob, aber zumindest kam ich mit den Kollegen zurecht und die mit mir.
Doch das Verderben lauerte schon: die Einberufung zum Grundwehrdienst bei der „Nationalen Volksarmee“. Um die Rolle des „Ehrendienstes“ bei den „bewaffneten Organen“ für Jungen rankten sich viele Legenden. Die wichtigste: Nur wer sich freiwillig wenigstens für drei Jahre verpflichtet, bekäme einen Studienplatz. Ich hatte zwar noch immer keine Vorstellung, WAS ich eventuell studieren könnte, aber dass ich das irgendwann tun könnte, wollte ich mir nicht verbauen. Aber dafür zur Armee?! Eher nicht! Also begann ich die Pflicht-Dienstzeit mit der Absicht nicht aufzufallen. Anstatt dessen leistete ich mir erst einen kleinen Unfall und sorgte dann mit regelmäßigen Fingern im Rachen so lange für Erbrechen, dass ich nach einem halben Jahr sagen konnte, dem Dienst an der Waffe hatte ich mich erfolgreich verweigert. Einziges Problem: Ich war nun ein Jahr zu früh in Freiheit. Der Betrieb musste mich wieder aufnehmen (so war das halt in der DDR), aber der Platz in meiner Abteilung war besetzt. Der einzige freie Platz im Betrieb war einer in der Kosmetik-Reklamationsabteilung. Immerhin lernte ich dort, dass man mit Haarspray den Boden pflanzenfrei machen kann. Klar, dass ich so schnell wie möglich irgendwo anders hin wollte. Ich ahnte noch nicht, welche psychischen Schäden die Armeezeit hinterlassen hatte, wie lange die Schreibblockade anhalten würde, also nahm ich noch einen Anlauf in Richtung Schreiben ...

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