Dienstag, 28. Juni 2011

1. Abschnitt: Wie ich trotz und wegen der DDR (19)

Das Maß an Kreativität der Arbeit war sehr hoch. Ich hätte natürlich auch ohne anzuecken etwas „zum Abhaken“ machen können. Aber gerade weil ich es selbst wollte, jagte ich laufend Verbesserungen hinterher. Seltsamerweise schlug das besonders die schwächsten Glieder der Abteilung in den Bann. Wir „Verantwortungsträger“ teilten uns nämlich eine Sachbearbeiterstelle bzw. Schreibkraft, die eigentlich für jeden von uns Hilfsarbeiten zu erbringen hatte, wenn sie gebraucht wurde. Die erste Kollegin war aber oft nicht anwesend, wenn sie an sich anwesend war. In Gedanken (und mindestens am Telefonhörer) war sie vorrangig beim Bändigen ihrer pubertierenden Tochter (sie war allein erziehend). Ihr Ruf war demzufolge wenig berauschend: Faul, quatscht viel, hat von nichts Ahnung … usw.
Ich war ja nicht ihr „Chef“. Aber ich missbrauchte sie zum Ideentest und für organisatorische Aufgaben mit sehr komplexen Anforderungen. Ergebnis: Sie blühte allmählich auf. Sie entwickelte Vergnügen an der (Mit-)Lösung von Problemen, die nicht von vornherein lösbar schienen. Sie brachte sich in immer beeindruckenderem Umfang in die Arbeit ein. Schließlich wuchs in ihr Stolz darauf, was WIR geschafft hatten. Bei ihrer jüngeren Nachfolgerin war dies noch stärker. Während sie von den Anderen so behandelt wurde wie jemand, von dem man wenig hielt, konnte sie sich neben mir voll entfalten. Abgesehen davon, dass sie durchaus intelligent war, verstanden wir uns extrem gut zu ergänzen. Über ihre weiblich charmanten Umgangsformen verfügte ich nun mal nicht – jeder zog aus dem Anderen die größten Nutzeffekte, zusammen ergab sich ein Niveau, auf das wir uns einiges einbilden konnte (und das jeder für sich allein nie erreicht hätte).
Beide Sachbearbeiterinnen wuchsen über sich hinaus, indem ihre Aufgabe sie forderte, indem sie ahnten, die jeweilige Aufgabe lösen zu können … und dadurch, dass sie das Gefühl hatten, dass eine schwierige Aufgabe von ihnen (mit) gelöst werden würde, weil genau sie das waren, ihre ganz persönlichen Qualitäten.
An sich Banalitäten. Aber es kann schon beeindrucken, wie weit Menschen über ihren bisherigen Schatten springen können, wenn die Rahmenbedingungen dafür stimmen. Bei beiden Kolleginnen war die unterschwellige Verachtung, die ihnen meist entgegengebracht worden war, nicht von vornherein unberechtigt. Beide aber entfalteten eigentümliche Qualitäten, sobald die als wertvoll angenommen wurden.

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