Gemeinschaft der Glückssüchtigen (Wolfgang Beutin)
Ein Verfasser mit dem Pseudonym Slov ant Gali (geb. 1955 in Schwerin, heute Lohnsteuerfachberater, Autor auch von Science Fiction und Lyrik) veröffentlichte 2013 ein Buch, mit dem er gleichzeitig voller Elan in zwei Debatten eingreift, eine deutsche und eine internationale.
Die erste ist die von Bundespräsident Gauck ausgelöste, der die deutsche Bevölkerung pauschal bezichtigt hatte, »glückssüchtig« zu sein. Vermutlich kam das Streben der Menschengattung nach Glück auf mit der Menschengattung. Die Philosophie, worin es als höchster Wert erscheint, heißt althergebracht Hedonismus; so gesehen etablierte sich der Kleriker an der Staatsspitze als Anti-Hedonist, zudem als Anti-Aufklärer, verschwor die Aufklärung sich doch dem politischen Ideal des »größtmöglichen Glücks der größtmöglichen Zahl«. Die zweite Debatte wird in der angloamerikanischen Welt und Australien geführt, intensiv, wie es das Magazin Time beweist, das auf einem Titelblatt im letzten Sommer als Hauptthema ankündigte: »The Pursuit of Happiness«, so als wollte man eine genaue Übersetzung des Gauck-Worts. Eine skeptische europäische Leserschaft darf die von den Amerikanern niedergelegten Befunde gern anzweifeln, erfährt sie doch in einer Übersicht über die Staaten der Erde, daß die am wenigsten glückliche Bevölkerung in einem Lande lebe mit einem überdurchschnittlich hohen Lebensstandard, wohingegen die glücklichste in einem Lande, in dem ein Drittel der Leute unterhalb der Armutsgrenze vegetiert … eine Aussage, die nicht gerade ermuntert, der Armut weltweit den Kampf anzusagen.
Was den Ausführungen in dem Buch ihren besonderen Charakter verleiht, ist der Versuch des Autors, die »Glücks«-Debatte mit einem Thema zu verknüpfen, welches auch hierzulande dringlich auf die Tagesordnung gehört: mit dem Kommunismus. Könne der Kapitalismus die »Bedürfnisbefriedigung im Weltmaßstab« nicht bewerkstelligen, sondern »nur jeweils beschränkt auf Teile dieser Welt, die sich auf Kosten des Rests vollsaugen« – ein Tatbestand, den sieben Milliarden Menschen bezeugen müssen –, sei das Durchdenken von Alternativen oberstes Erfordernis. Solchem Durchdenken möchte der Autor nachhelfen. Mit seiner Bestrebung könnte er sich auf Vorgänger berufen wie etwa den Dichter Heine (Parole: »Zuckererbsen für jedermann«) oder auf den in der tschechischen Literatur einstmals hitzig geführten Literaturstreit, den Jaroslav Seifert auslöste, als er Verse wie diese veröffentlichte: »Wir Proletarier sehnen uns nach unsrer Welt. / Und jener, der sein Leben lang nur fastet, / will endlich auch von Sorgen unbelastet, / am speisenüberladnen Tische sitzen …« (Der tschechischen Avantgarde-Richtung des »Poetismus«, der Seifert angehörte, wird ein »extremer Hedonismus« nachgesagt!) Der Autor Gali hat recht, wenn er vermerkt, man müsse alles stets neu bedenken, und hat recht auch mit seiner These: »Die Perspektive ›Kommunismus‹ muß von den Massen gewollt werden – egal, ob man sie nun so nennt oder nicht. Es reicht einfach nicht, jene einzelnen Stückchen des ›Kapitalismus‹ nicht zu wollen, die gerade am meisten weh tun. Es reicht nicht einmal, den Kapitalismus insgesamt nicht zu wollen. Wir müssen auch etwas anderes, Alternatives bewußt wollen und darauf hinarbeiten.« Seine Begrifflichkeit verbindet er einleuchtend mit dem Individualismus-Postulat, und auch hierin hat er einen prominenten Vor-Denker, Oscar Wilde, der nur im Sozialismus die Sicherung des Individualismus gewährleistet sah (läuft im Kapitalismus doch alles auf ödeste Konformität hinaus, auf einen bloß vorgegauckelten Individualismus). In seine Argumentation baut der Autor anregende historische Reflexionen ein (über die deutsche Novemberrevolution, über den Zusammenhang von deren Scheitern und der Verödung der Oktoberrevolution; über den Sozialismus der DDR, der eine »abgebremste Revolution« gewesen sei). Den Band bereichern eingestreute politische Gedichte (in der Tradition von Erich Fried).
Slov ant Gali: »Gemeinschaft der Glückssüchtigen. Wie wir die Welt wollen«, Verlag Wiljo Heinen, 238 Seiten, 13,50 €
Die erste ist die von Bundespräsident Gauck ausgelöste, der die deutsche Bevölkerung pauschal bezichtigt hatte, »glückssüchtig« zu sein. Vermutlich kam das Streben der Menschengattung nach Glück auf mit der Menschengattung. Die Philosophie, worin es als höchster Wert erscheint, heißt althergebracht Hedonismus; so gesehen etablierte sich der Kleriker an der Staatsspitze als Anti-Hedonist, zudem als Anti-Aufklärer, verschwor die Aufklärung sich doch dem politischen Ideal des »größtmöglichen Glücks der größtmöglichen Zahl«. Die zweite Debatte wird in der angloamerikanischen Welt und Australien geführt, intensiv, wie es das Magazin Time beweist, das auf einem Titelblatt im letzten Sommer als Hauptthema ankündigte: »The Pursuit of Happiness«, so als wollte man eine genaue Übersetzung des Gauck-Worts. Eine skeptische europäische Leserschaft darf die von den Amerikanern niedergelegten Befunde gern anzweifeln, erfährt sie doch in einer Übersicht über die Staaten der Erde, daß die am wenigsten glückliche Bevölkerung in einem Lande lebe mit einem überdurchschnittlich hohen Lebensstandard, wohingegen die glücklichste in einem Lande, in dem ein Drittel der Leute unterhalb der Armutsgrenze vegetiert … eine Aussage, die nicht gerade ermuntert, der Armut weltweit den Kampf anzusagen.
Was den Ausführungen in dem Buch ihren besonderen Charakter verleiht, ist der Versuch des Autors, die »Glücks«-Debatte mit einem Thema zu verknüpfen, welches auch hierzulande dringlich auf die Tagesordnung gehört: mit dem Kommunismus. Könne der Kapitalismus die »Bedürfnisbefriedigung im Weltmaßstab« nicht bewerkstelligen, sondern »nur jeweils beschränkt auf Teile dieser Welt, die sich auf Kosten des Rests vollsaugen« – ein Tatbestand, den sieben Milliarden Menschen bezeugen müssen –, sei das Durchdenken von Alternativen oberstes Erfordernis. Solchem Durchdenken möchte der Autor nachhelfen. Mit seiner Bestrebung könnte er sich auf Vorgänger berufen wie etwa den Dichter Heine (Parole: »Zuckererbsen für jedermann«) oder auf den in der tschechischen Literatur einstmals hitzig geführten Literaturstreit, den Jaroslav Seifert auslöste, als er Verse wie diese veröffentlichte: »Wir Proletarier sehnen uns nach unsrer Welt. / Und jener, der sein Leben lang nur fastet, / will endlich auch von Sorgen unbelastet, / am speisenüberladnen Tische sitzen …« (Der tschechischen Avantgarde-Richtung des »Poetismus«, der Seifert angehörte, wird ein »extremer Hedonismus« nachgesagt!) Der Autor Gali hat recht, wenn er vermerkt, man müsse alles stets neu bedenken, und hat recht auch mit seiner These: »Die Perspektive ›Kommunismus‹ muß von den Massen gewollt werden – egal, ob man sie nun so nennt oder nicht. Es reicht einfach nicht, jene einzelnen Stückchen des ›Kapitalismus‹ nicht zu wollen, die gerade am meisten weh tun. Es reicht nicht einmal, den Kapitalismus insgesamt nicht zu wollen. Wir müssen auch etwas anderes, Alternatives bewußt wollen und darauf hinarbeiten.« Seine Begrifflichkeit verbindet er einleuchtend mit dem Individualismus-Postulat, und auch hierin hat er einen prominenten Vor-Denker, Oscar Wilde, der nur im Sozialismus die Sicherung des Individualismus gewährleistet sah (läuft im Kapitalismus doch alles auf ödeste Konformität hinaus, auf einen bloß vorgegauckelten Individualismus). In seine Argumentation baut der Autor anregende historische Reflexionen ein (über die deutsche Novemberrevolution, über den Zusammenhang von deren Scheitern und der Verödung der Oktoberrevolution; über den Sozialismus der DDR, der eine »abgebremste Revolution« gewesen sei). Den Band bereichern eingestreute politische Gedichte (in der Tradition von Erich Fried).
Slov ant Gali: »Gemeinschaft der Glückssüchtigen. Wie wir die Welt wollen«, Verlag Wiljo Heinen, 238 Seiten, 13,50 €
vgl.: http://www.ossietzky.net/5-2014&textfile=2585
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