Es begann mit einem für mich typischen
Reinfall. Im Frühsommer, mein Studium war gerade zu Ende, wurde ich
mit einer Studentin verkuppelt, die ihre Semesterferien bereits
verplant hatte. Ohne meine körperlichen Probleme zu berücksichtigen,
stimmte ich spontan zu, mit ihr und ihren Freunden durch die
rumänischen Karpaten zu wandern. Einfach Rucksack gepackt und los.
Bei den ersten Beanspruchungen meiner Knie wurde dann deutlich: Ich
konnte nicht. Alleine zurück? Liane hatte den rettenden Einfall. Wir
trennten uns von den Anderen und zu zweit begann eine Tour, bei der
ich nicht sagen kann, ob sie sich heute irgendwo auf der Erde
wiederholen ließe.
Unsere Route kann ich nicht
beschreiben. Wir haben keine „offiziellen“ Stationen gemacht,
sind getrampt ohne konkretes Ziel. Höchstens: In der Gegend gab es
viele Leute, die Deutsch sprachen. Solche Leute wollten wir finden,
bei ihnen übernachten, uns unterhalten und Vorschläge bekommen, was
wir als Nächstes ansehen sollten. Es gab keine Kontaktprobleme und
kaum jemand fuhr an uns vorbei, ohne zu halten und nach unserem Ziel
zu fragen. Die Freundlichkeit war allgegenwärtig, beschränkte sich
nicht auf die Solidarität der sich verfolgt fühlenden deutschen
Minderheit. Das war Erlebnis eins: Wir wurden laufend durch
Gemeinschaften gereicht, die alle bedingungslos offen und herzlich zu
uns waren, etwas gaben ohne Gegenleistung. Für einen Deutschlehrer
war natürlich die Begegnung mit Menschen, die ein „Deutsch“ von
vor 150/200 Jahren sprachen, ein Erlebnis für sich. Gerade die
Assimilierungspolitik unter Ceausescu förderte als Anti-Haltung das
Festhalten an überlieferten Traditionen. (Insoweit kann ich heute
die „Migranten“ in Deutschland leichter verstehen, die sich nicht
in Deutsche dritter Klasse umwandeln lassen wollen.)
In einem abgelegenen Dorf überraschte
uns dann ein Gewitterguss. Der Regen kam schneller, als ich das
aufschreiben kann, und mit urwüchsiger Kraft. Vom nächsten
Grundstück war nur ein Rasenstück mit Baum zu erkennen. Liane
reagierte und dirigierte schneller, als ich denken konnte. Ehe ich
mich versah, hatten wir unser Zelt aufgebaut und waren darin dabei,
uns aus den nassen Sachen zu schälen. Da hob sich die Plane am
Eingang. Ein Frauengesicht tauchte auf. So wie zuvor vom Regen wurden
wir nun von Schimpfworten überschüttet. Wir verstanden nur, dass
die Frau Rumänisch sprach und unsere Versuche, auf Deutsch oder
Englisch zu antworten, ignorierte. Nein: Wir verstanden noch, dass
wir weg sollten. Wollte die Frau uns bei dem Wetter von ihrem
Privatgrundstück vertreiben? Fragte sie, was wir uns einbildeten,
ohne zu fragen darauf zu zelten? Sie war ausdauernd und trieb uns ins
Haus, das wir bei dem dichten Regen zuvor nicht gesehen hatten. Wir
wurden in ein Zimmer mit Doppelbett und vielen Handtüchern
eingewiesen und kaum getrocknet, hatten wir der „Hausherrin“ zu
folgen.
In der „guten Stube“ empfing uns
„die Familie“, die im Laufe des Nachmittags und Abends immer
weiter anschwoll. Was sich da ereignete, war höchstens mit einer
großen Hochzeitsfeier vergleichbar. ...