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Samstag, 23. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (8. Fortsetzung)

8. Fortsetzung
Natürlich hätte ich schon lange als Volksredner versuchen können. Aber mir fehlte außer dem Talent, meine umfassenden Theorien in Freisprech-Schauen zu verwandeln, auch jenes leicht übersteigerte Selbstbewusstsein, auf eine Bühne zu steigen und zu erwarten, irgendwelche Massen wollten das hören, was man sagen will. Ich hatte nur das Sendungsbewusstsein verkannter kleiner Propheten, andere Menschen, nein, eigentlich die ganze Menschheit müsste von dem überzeugt werden, was ich gesagt hätte, hätte ich es denn gesagt. Die Vision, unter den gewaltigen Kräften, mit denen Menschen alles Leben auf der Erde so umfassend verändern konnten, wäre mindestens eine, die frei gesetzt die Menschheit vernichten würde, weil sie einfach zu groß waren, um an Verdienstabsichten irgendeines Privaten geknüpft zu werden. Das Wissen, dass jeden Tag ein unermesslicher Reichtum zerstört wurde – egal ob unbeabsichtigt wie z. B. durch die Folgen des fortschreitenden Klimawandels oder mit Vorsatz durch Rüstung und Krieg. Die Überzeugung, dass diese Verknüpfung längst nicht mehr nötig gewesen wäre, dass der Wissensschatz der Erde ausreichte, um jedem Menschen der Erde ein gutes Leben ohne Hunger und mit sinnvollen Beschäftigungen in angenehmem Umfang zu sichern. Anstatt dessen kämpften angeblich kluge Köpfe sogar noch darum, wie mit Lizenzen möglichst alle Anderen von ihrem Wissen ausgeschlossen werden konnten!
Aber wer sollte daran etwas ändern? Wer konnte das?
An der Stelle stockte ich. Mir schwindelte wie beim Blick vom Fuß zur Spitze eines Hochhauses. Mit meiner linken Hand konnte ich vielleicht die Lawine anstoßen, die notwendig war. Den Rest würden die Anderen machen. Immerhin gab es schon ein paar Minipropheten, bei denen es technisch leicht sein musste, ihnen persönlich auf die Schulter zu klopfen. Sie brauchten nachher gar nicht so völlig neue Reden zu schwingen, man würde ihre Veränderung vielleicht nicht einmal bemerken.


Der Rest war langweilige Routine. Ich schmückte meine Armschiene mit etwas echtem Gips und Unterschriften fiktiver Freunde und arbeitete Termin um Termin ab. Das Gemisch aus Händedruck mit der mystischen Linken und Kitzel an der Eitelkeit der Gesprächspartner wirkte Wunder. Jedem erklärte ich, dass ich genau seine Gruppierung als erstes befragte, und dass alle Absprachen vorbehaltlich der Zusage der Anderen galten, und natürlich würde es bei denen viel schwieriger werden, sie zur Vernunft zu bringen.
Ich war mir nicht sicher, ob mein Händedruck wirklich jeden Vorbehalt gegen andere aufhob. Amüsant fand ich allerdings den Gedanken, unwissentlich gerade mit einem V-Mann des Verfassungsschutz zu reden, der zu mehr Militanz und Einzelaktionen anstacheln sollte, um nachher über Militanz und Einzelaktionen in der linken Szene zu berichten. Nun würde er plötzlich selbst von der Sache überzeugt sein, gegen die er zu schnüffeln hatte – und friedlich mitmachen. Seine Vorgesetzten wären enttäuscht.


Welch vergnügliche Aussicht, im Fall eines kleinen Erfolges, also des Einzugs einer Fraktion in den Bundestag, der Bundeskanzlerin persönlich die linke Hand geben zu können und die spräche sich plötzlich für den Kommunismus aus! Nur wie lange konnte ein Mensch mit einem Gipsarm herumlaufen, ohne Aufsehen zu erregen? Und bei ersten Nachforschungen stieß ich auf ganz vulgäres Problem: Die Sicherheitseinrichtungen im Reichstag erlaubten keine metallischen Gegenstände für Besucher. Das Scharnier meines rechten Arms aber war metallisch …

Freitag, 22. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (7. Fortsetzung)

7. Fortsetzung
Einige Jahre früher war ich auf der Suche nach irgendeinem Job auf den Dreh mit der Komparserie gestoßen. Ich fand eine Agentur, die von sich behauptete, Beziehungen zu Nebenrollen in vielen Film- und Serienproduktionen zu haben. Zuerst musste ich insgesamt 300 Mark für Fotoshooting und Setcart hinblättern und in den folgenden Jahren wurde ich insgesamt fünfmal angefordert, wobei ich dreimal beim Casting durchfiel. Und nun gab es das sechste Casting … und ich fiel wieder durch! Dabei hätte ich in einer Krankenhausserie nur als Patient durch den Gang laufen müssen. Dazu hätte man mir einen Gipsarm verpasst!
Nein, nicht gleich nach Runde 1 aufgeben! Ich fing einfach einen der auserwählten Komparsen draußen ab und bezahlte ihm das Doppelte des versprochenen Honorars. Ich wolle doch nur einmal in meinem Leben bei so etwas mitspielen, erklärte ich ihm.
Und ich spielte!!! Unter einem fremden Namen, mit dem ich den Drehtermin wahrnahm.
Ich glaube kaum, dass große, vor allem polizeiliche Nachforschungen angestellt wurden, was aus der Armschiene geworden ist. Ich war weder zum „Abschminken“ erschienen noch zum Honorarempfang. Etwas seltsam war das Gefühl schon, mit einem Kunstgipsarm im Rucksack aus den Räumen zu flüchten. Aber gerade dort, wo so viele zusammen sind, achtet jeder zuerst auf sich und nicht auf den Nachbarn.
Der Gipsarm hatte den Nachteil, dass er nicht aus Gips, sondern aus Plastik, aber den Vorteil, dass er mit einem Scharnier versehen war, mit dem er sich bei Bedarf leicht anlegen und wieder entfernen ließ. Zumindest dachte ich damals, dass es ein Vorteil wäre ….

Donnerstag, 21. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (6. Fortsetzung)

6. Fortsetzung
Der Frühling kam. Lilja und Jörg waren wirklich ganz nette Typen. Gelegentlich besuchten wir uns „auf´n Sprung“ und quatschten über das, was uns so auf dem Herzen lag. Lilja war Verkäuferin bei Schlecker. Ganz erbost hatte sie mir erzählt, sie habe eine Abmahnung erhalten, weil sie sich anstatt an der Kasse zu kassieren lautstark über Vor- und Nachteile verschiedener Gesellschaftssysteme ausgelassen hatte – eben, dass sie unter kommunistischen Bedingungen nur wirklich wichtige Sachen machen brauchte, nicht immer den Leuten ihre letzten Cents abnehmen, und kuschen müsste sie da auch nicht, um einen Minianteil am Erlös der Verkäufe als Bezahlung zu bekommen. Seitdem schaue sie immer genau, wer ihre Meinung mitbekäme, aber nehmen ließe sie sich die trotzdem nicht. Sie habe inzwischen verstanden, was gut für sie sei.
Da ich mir sicher war, sie nicht an Rücken oder Schulter berührt, ja auch nicht mit der linken Hand anderswo angefasst zu haben, konnte das nur das Werk des infizierten Jörg gewesen sein.
Ich wollte mich weder darauf verlassen, dass die beiden in Kumpel- oder Fremdgehergruppen gerieten, um meinen Virus weiter zu verbreiten, noch versprach ich mir allzu viel von Lijas Kassiererinnen-Agitation. Wenn mir nicht bald etwas einfiele, wäre meine Infektionskette am Ende, bevor sie richtig angefangen hatte …

Mittwoch, 20. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (5. Fortsetzung)

5. Fortsetzung
Wach wurde ich mit schwerem Kopf, vielen Fragen und der Ahnung neuer Probleme.
Beschränkte sich diese Übertragung meiner politischen Überzeugungen auf den Schlag auf Rücken oder Schulter oder waren auch andere Körperteile als Ziel geeignet, sprich: reichte vielleicht die Hand zu reichen? Im ersten Fall hätte ich mich mit der Zielgruppe Kumpelmänner begnügen müssen. Höchstens jene Frauen wären noch dazu gekommen, die mir mehr als ihrer kalten Schulter zu zeigen bereit waren. Zwar bestand noch die Hoffnung, die von mir Infizierten könnten den ideologischen Virus auf gleiche Weise weitergeben. Doch da hätte ich mich bei Frauenschwärmen anbiedern müssen. Aber so richtig interessant würde die Sache erst, wenn sich das IK-Virus, also das Ideologie-des- Kommunismus-Virus gezielt verbreiten ließe. Vorausschauend graute es mir vor dem nächsten Problem: Die Sitte des Händegebens zur Begrüßung verliert zwar langsam an Bedeutung, ist aber eindeutig an die Benutzung der rechten Hand gebunden. Heutzutage wunderte sich niemand über einen Hammer in meiner linken Hand, höchstens über mein Ungeschick dabei. Aber jemandem zur Begrüßung die linke Hand entgegen strecken? Mindestens peinliche Verwirrung wäre das Ergebnis.
Mir fiel sofort ein, einfach meine rechte Hand zu bandagieren. Da bliebe mir nur die linke zur Begrüßung. Aber ich musste es ja allein versuchen, sofern ich nicht jemanden einweihen wollte. Wie das Ergebnis aussah! Ich verfluchte die zurückliegenden Jahrzehnte, in denen ich meine linke Hand nicht trainiert hatte, versuchte die Binde immer wieder neu haltbar mit meinem rechten Arm, besonders der rechten Hand zu verknüpfen. Doch was ich auch tat, es sah zum Lachen und Fürchten zugleich aus. Es gab nur eine Lösung: Mich musste jemand verbinden, der etwas davon verstand.
Womit ich beim nächsten Problem war. Wem sollte ich meinen rechten Arm hinhalten, ihm bestätigen, dass nichts damit sei, aber er (oder sie) möge ihn mir so verbinden, dass ich auf absehbare Zeit niemandem diese Hand reichen könnte? Ohne Zweifel an meinem geistigen Zustand zu erwecken? Wahrscheinlich hätte ich den schon bei Lilja und Jörg mit einer Erklärung, woher Jörgs Sinneswandel gekommen war, geweckt.
Es blieb mir also nichts Anders übrig, als einen äußeren Anlass, nein, einen echten Grund zu produzieren. Der rechte Arm musste zu Recht bandagiert werden.
Selbstverständlich war ich schon von Leitern gestürzt; ich war auf Tische gestiegen, um eine Glühbirne auszuwechseln, und habe dabei den ganzen Tisch zum Kippen gebracht; ich bin in einen Farbeimer gefallen … Aber außer der Belustigung für zufällige Zuschauer und Freunde war nichts Dauerhaftes passiert. Und absichtlich verunglücken ist erst recht nicht so leicht.
Ich versuchte es mit Kippeln auf eine hohen Leiter. Nur da der Körper ja wusste, was ihm bevorstand, ging er in Sicherheitsbereitschaft. Und bestimmt gibt es Statistiken, die besagen, dass sich Rechtshänder überwiegend den rechten und Linkshänder den linken Arm brechen. Das Unterbewusstsein schickt nämlich das Kommando „Tu doch was!“ im Augenblick der Gefahr spontan zuerst an jenen Arm, von dem es die bessere Reaktion erwartet.
Ich war schon so weit, mich unter Einschluss meines linken Armes wie eine Mumie einzuwickeln, damit ich nur den rechten Arm ausstrecken und brechen konnte. Da fielen mir die nächsten Probleme ein: Einmal angenommen, mir wäre gelungen, mir meinen rechten Arm zu brechen, wie sollte ich mich dann wieder auswickeln oder – wenn mir dies nicht gelänge – wie erklärte ich denen, die mich nachher fänden, meinen „verwickelten“ Zustand? Andererseits erschien mir letztlich wahrscheinlicher, mir einen Halswirbel als diesen blöden Arm zu brechen.
Wie ich es auch wenden mochte, ich fand keine Lösung. Es sind ja immer diese ganz kleinen Dinge des Alltags, die uns daran hindern, Großes zu vollbringen.

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (4. Fortsetzung)

4. Fortsetzung
Am nächsten Morgen blieb ich erst einmal still liegen. Man kennt diese Situation aus vielen Krimis. Die Kriminalisten haben einen Verdacht. Taten sehen sich ähnlich, aber anscheinend besteht zwischen den Opfern kein Zusammenhang. Nun wäre es genauso ungewöhnlich wie langweilig, wenn es wirklich willkürlich betroffene Opfer wären. Beim Frauenmörder haben sie mindestens ihr Frausein gemeinsam. Ob es blonde junge sind, die nach dem Fitnesscenterbesuch durchs Parkhaus laufen müssen oder Frauen mit weniger Gemeinsamem, kann oft erst bewiesen werden, wenn der nächste Mord ins Muster passt.
Ich suchte zwar keinen Mörder. Ich hatte aber drei Fälle von seltsamen, einander ähnelnden Verhaltensweisen von Menschen, die einander mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht kannten und mir zufällig begegnet waren. Nur war ich noch mehr Leuten begegnet. Das konnte es also nicht allein sein. Aber alle drei Begebenheiten lagen zeitlich nach jenem Toaster-Missgeschick und wahrscheinlich hatte ich alle plötzlich so seltsam auftretenden Menschen mit meiner linken Hand am Rücken berührt. Der Zufall ließe sich nur ausschließen, wenn ich eine vierte Person am Rücken berührte.
Natürlich gibt es solche penetranten Ami-Klischee-Typen, die mit jedem, den sie beim Begegnen wieder erkennen, alte Freunde sind und durch Schulterklopfen ihre ungeheure Freude ausdrücken. Ich aber war weder Amerikaner noch leutselig. Ich hätte solch eine Berührung als Bedrohung empfunden, vielleicht sogar als Anmache. Ich wusste noch nicht, wie intensiv und wie lange jenes kommunistische Agitationsbedürfnis über die unmittelbare Begegnung hinaus erhalten bliebe – vorausgesetzt, mein Verdacht sollte sich erhärten. Mein Sohn war für den bevorstehenden Test ungeeignet, da er a) mir nur sehr selten begegnete und b) von meiner politischen Einstellung wusste, ein Gespräch über dieses Thema also kein Zufall zu sein brauchte.
Ich entschied mich für eine schauspielerische Stegreifaktion. Kunze wohnte im Haus über mir. Es wäre ein astronomischer Zufall gewesen, hätten in demselben Sechsgeschosser in Hellersdorf mehrere Spitzel des Verfassungsschutzes oder Propagandisten der Weltrevolution gewohnt. Ich erinnerte mich also daran, dass in meiner Kellerbucht seit langem ein von einem früheren Bewohner ausgemustertes Regal stand. Das würde ich auf meinen Balkon bringen. Ich wuchtete es aus dem Keller, durch die Kellertür, die Kellertreppe herauf … und dann hatte ich den Punkt erreicht, wo man es leicht sah: Ich hatte mich übernommen, musste also Hilfe erbitten. Ich klingelte bei Mustanski. Ich wusste, dass der 30jährige Familienvater daheim und körperlich fit war.
Tatsächlich ging die Tür auf. Ich wies auf das abgestellte Regal und gab in jammerndem Ton von mir: „… Ich schaffs nicht allein. Könnte nicht ihr Mann kurz mit anfassen? Die Treppen …“
Frau Mustanski enttäuschte mich nicht. Sie brüllte: „Jöööörg, kommst du mal?!“ Dann erklärte sie dem Heranwatschelnden meine Lage sehr wortreich und hieß „Jööörg“ feste Schuhe anzuziehen. Das Regal war für meinen Zweck wunderbar geeignet. Ein Mann etwas besserer körperlicher Verfassung hätte es locker allein hoch geschafft, mir war es zuzutrauen, zu zweit aber ging es wirklich leicht. Mir war ja nur wichtig, dass ich ohne Verdacht zu erregen dem Hausmitbewohner danach kumpelhaft die Linke auf die Schulter legen konnte.
Ich tat´s … und richtig: Jörg Mustanski erklärte mir vorm Verlassen meine Wohnung, solch nachbarschaftliche Hilfe sei im Kommunismus selbstverständlich. Ohne bestimmte Formen von Besitz gäbe es keinen Sozialneid und damit weniger Neid überhaupt. Man halte da einfach besser zusammen. Zu DDR-Zeiten war das ja schon besser, und heute … Er bedauere, seine Nachbarn fast überhaupt nicht zu kennen und …
Ich war froh, als die Tür zu war. Ich stand wieder allein in meiner Wohnung mit einer Einladung, abends einmal runter zu kommen. Muss ich besonders erwähnen, dass ich noch am selben Abend die Treppen hinuntergestiegen bin mit einer Flasche Rotwein in der Hand und was dort unten Gesprächsthema war? Muss ich betonen, wer dieses Gespräch fast allein bestritt, wer seine Frau und mich von den Vorzügen des Kommunismus überzeugen suchte? Hätte ich nicht gewusst, dass mich Jööörg vorher nicht gekannt hatte, wäre ich mir veralbert vorgekommen, so als wollte jemand meine Macke karikieren. Viele Sätze und alle Gedanken kamen mir vertraut vor. Die hätten nicht nur von mir sein können – die waren von mir!
Nun war ich mir ziemlich sicher: Ein Handschlag meiner Linken verwandelte den Getroffenen in einen Propagandisten des Kommunismus. Er übertrug meine Überzeugungen und Erkenntnisse auf ihn und diese Wirkung hielt mindestens mehrere Stunden an. Allerdings sollte ich künftig darauf achten, wie viel und welchen Wein ich trank. Die Mustanski-Mischung suggerierte mir in der folgenden Nacht einen Orkan auf hoher See.

Dienstag, 19. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (3. Fortsetzung)

3. Fortsetzung
Mich interessiert Kultur. Am meisten natürlich die Schreiberei. Sonst hätte ich ja auch jetzt nicht versucht, meine Geschichte selbst aufzuschreiben, und alles einem Ghostwriter überlassen.
Jedenfalls ging ich immer am ersten Montag im Monat ins Kulturforum in der Nähe zum sogenannten Literaturstammtisch. Für den ersten Januarmontag war ein Russlanddeutscher mit Anekdoten und Kurzgeschichten aus dem Leben von Auswanderungswilligen und Ausgewanderten angekündigt. Da sogar heitere Texte versprochen wurden, freute ich mich auf eine Abwechslung. Ich wurde nicht enttäuscht. Der Mann schlug Bögen vom Edikt Katharinas der Großen zur Ansiedlung von Deutschen an der Wolga über seinen Großvater zu den Dummheiten eines Bekannten beim Packen des Umzugscontainers. Und Fragen beantwortete er auch. Ein sympathischer Herr, aber geprägt davon, dass seine Vorfahren als Kollektivstrafe für den Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion aus ihrer angestammten Heimat ins tiefe Sibirien vertrieben worden und einige dort verhungert waren. Kein Wunder, dass er diesem Sowjetstaat, aus dem er mehrmals versucht hatte auszuwandern, keine Träne nachweinte. Trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) interessierten mich seine Geschichten. So kaufte ich sein neues Buch und wartete geduldig auf eine Widmung. „Humor macht kreativ“, schrieb er, und gespannt verfolgte ich die Bewegungen seines Stiftes. Vielleicht auch etwas aufdringlich. Aber hinter und neben mir warteten noch Andere. Da geschah es: Jemand schubste mich, ich stolperte nach vorn und stützte mich am Erstbesten ab, was ich zu fassen bekam, dem Rücken des Autors. War mir das peinlich! Ich wollte mich irgendwie entschuldigen, da sagte er, sein Kuli sei ja nicht verrutscht und … wenn ich sein Buch noch im Kommunismus besitze, dann habe es einen besonderen Wert, einen ganz persönlichen, genau für uns beide. Er wünsche sich sehr, noch den Kommunismus zu erleben, denn das sei ja die Zeit der Künstler. Er lebe jetzt schon ein wenig dort, denn Geld verdiene er mit seinem Schreiben auch heutzutage schon nicht, aber in jener Künstlerzeit fände er wenigstens mehr moralische Anerkennung. Wir müssten einfach gemeinsam mehr gegen den allgemeinen Egoismus tun. Die Banken zu verstaatlichen wäre ein sinnvoller erster Schritt.
Wahrscheinlich hätte er mir eine ganze Predigt über die Vorzüge des Kommunismus gehalten, wenn nicht die nächsten ihm ungeduldig ihre Bücher zum Signieren hingehalten hätten.
Ich wankte zu meinem Platz, verabschiedete mich unkonzentriert von ein paar Bekannten und lief zur U-Bahn. Was war das? Ich hatte den Mann doch vorher erlebt. Wie er die heutige „Freiheit“ angepriesen hatte. Plötzlich fing er an, vom Kommunismus zu schwärmen?! Dass er mir zu Munde redete, schied aus. Er konnte meine politische Einstellung nicht kennen. Was also dann?
Vergeblich versuchte ich daheim einzuschlafen. Ich wagte den Gedanken nicht laut zu denken. Aber ich fasste einen Entschluss: Ich musste einen Test wagen.

Montag, 18. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (2. Fortsetzung)

2. Fortsetzung
Wochen vergingen. Ich lebte das Leben eines Heimarbeiters, fern von lästiger Nähe ungeliebter Menschen. Aber auch der einsamste Mensch muss gelegentlich etwas für seinen Selbsterhalt tun. Einkaufen gehen zum Beispiel. Ich hatte gerade einige Briefe geschrieben, und weil der Briefkasten mehrere hundert Meter weit entfernt war, nahm ich noch ein paar Beutel mit um einzukaufen. Ich rechnete nicht damit, ein bekanntes Gesicht zu sehen, und schlenderte selbstvergessen durch die Regale. So wurde ich regelrecht aus dem Halbschlaf gerissen, als jemand kurz vor der leeren Kasse meinen Einkaufwagen rammte. Der Mann wollte sicher auch gerade „Könn´se nich aufpassen“ brüllen, da erkannten wir uns. Herr Krause aus der vierten Etage! Und schon hatte ich „Geh´n Sie schon!“ gesagt und ihn ans Band geschoben. Sonst bin ich ja nicht freundlich, wenn ich unaufmerksam bin. Diesmal aber … Aber die Krönung folgte erst. Herr Krause wartete nach dem Einpacken auf mich, lud meinen Einkauf in sein Auto und mich auf den Beifahrersitz und begann mir zu erklären, dass wir doch in einer verdammt unmenschlichen Gesellschaft lebten, wo jeder nur an sich selbst denke, und das könne nur dadurch verändert werden, dass keinem etwas gehört, womit er Profit erzielen könnte und dann auch würde. Es müsse eine neue Revolution her. Die sei reif und wenn wir endlich Kommunismus hätten …
An der Stelle musste er sich um die Schranke zur Parktasche vor unserem Wohnblock kümmern. Wir trennten uns, und Herr Krause ließ mich mit Einkauf, Revolution und Kommunismus im Treppenhaus zurück. Zu DDR-Zeiten war ich zwar nie einem begegnet, aber Fernsehen und Presse hatten mir inzwischen klar gemacht, dass man damals an jeder Wohnungstür mit einem sogenannten Inoffiziellen Mitarbeiter der „Stasi“ hatte rechnen müssen, der einen zu staatsfeindlichen Äußerungen bewegen wollte, damit er etwas nach oben zu melden hatte. War ich jetzt erstmals einem solchen Exemplar begegnet – nur eben im Dienste der anderen Seite?
Ich entschied mich für Kopfschütteln. Bloß nicht jedes Wort überbewerten…

Sonntag, 17. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (1. Fortsetzung)

1. Fortsetzung
Die Verwunderung setzte erst zu Weihnachten ein. Dieses Fest führte Jahr für Jahr Fetzen der versprengten Familie für unumgängliche diplomatische Akte zusammen. Mein Sohn beklagte sich wie erwartet über seine Probleme beim Studium und ich wies ihn darauf hin, dass das alles viel leichter zu ertragen wäre, wenn er denn endlich eine zu ihm passende Freundin fände (es stellte sich heraus, dass sein „Studienproblem“ in einer bestand, die ihn gerade hatte abblitzen lassen) und er würde das schon packen. Ein Gespräch unter Männern also, und es war nur ganz natürlich, dass ich ihm väterlich ermunternd auf die Schultern klopfte. Erst viel später wurde mir bewusst, dass ich mit der linken Hand zugeschlagen hatte.
Man stelle sich meine Verblüffung vor, als mir mein Sohn vielleicht eine halbe Stunde später ohne Vorwarnung erklärte, er habe sich das genau überlegt und er habe beschlossen, er würde Kommunist. Wörtlich genau dies!
Bis zu diesem Augenblick war die einzige politische Rolle, für die er sich je interessiert hatte, die des Magiers in „World of Warcraft“. Selbst ich hatte ihn im Unterschied zu den meisten anderen Menschen, mit denen ich zu tun gehabt hatte, nicht mit Politischem belästigt. Mir schadete es mir eher, dass ich Zusammenhänge in der Welt, in Deutschland und so weiter verstand. Wissen quält und über die Leser der BLÖD-Zeitung hätte Jesus sicher gesagt, dass glücklich sei, wer da arm sei am Geiste. Warum also sollte ich meinem Sohne nicht ein Stück Glück gönnen – noch dazu, wo er mir an fast allen Tagen des Jahres fern war und ich ihn deshalb nie hätte beschützen können?
Und nun begann er mir einen Vortrag zu halten! Ich neigte ja schon immer dazu, andere penetrant bekehren zu wollen. Dass mich nun jemand mit fast exakt meinen eigenen Worten zu bekehren versuchte, war mir bisher aber noch nicht begegnet. Dass dieser Jemand mein erwachsener Sohn war, machte die Vorstellung nicht weniger verwirrend. Mir fiel vor Schreck nichts Besseres ein, als ihn zu loben für seinen Entschluss und dass mich das freue, aber er solle gut aufpassen: Dieser Entschluss mache ihm sein Leben nicht leichter. Das war bestimmt nicht das Klügste, aber viel wichtiger war, dass in diesem Augenblick das Telefon klingelte, meine Ex uns einen schönen Tag wünschte und … der Höhenflug damit vorüber war. Erst beim Einschlafen fiel er mir wieder ein. Aber ein Spirituosenschlaf verhinderte allzu gründliche Grübelei.

Samstag, 16. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch

Mit dem Toaster fing es an oder Die Kraft der linken Hand

Die Geschichte der Menschheit gliedert sich für mich in zwei Phasen: die Zeit bevor und die Zeit, nachdem mein Toaster klemmte.
Wenn ich aufstand, also in der Zeit davor, dann tat ich immer so, als hätte ich es verdammt eilig, zur Arbeit zu kommen. Ich kämpfte die Müdigkeit mit vielen Tricks nieder und überlegte, an welchen Stellen ich Zeit sparen konnte. Besonders wichtig erschien es mir, die morgendlichen Aufgaben straff durchzuorganisieren. Im Kopf hatte ich den genauen Ablaufplan der Kleinigkeiten, welche bis zum Arbeitsbeginn zu erledigen waren. Da war das Frühstück zu bereiten, Bad und Toilette zu bewältigen, der Computer hochzufahren usw. Möglichst mussten die Arbeitsgänge so angeordnet werden, dass ich nirgendwo warten musste, dass also – nur so als Beispiel, der Computer hoch fuhr, während ich frühstückte, oder der Toaster seine Aufgabe erfüllte, während ich mich wusch.
Entscheidend war, dass ich an dem speziellen Morgen zum Frühstück wieder einmal Toastbrot beschmieren wollte. Dazu musste ich die Scheiben natürlich zuerst toasten. Wie gesagt: Das Warten auf den Toaster war einer jener Zeiträume, in denen ich anderes Nützliches erledigte. Ich schob also zwei Scheiben in den Apparat und eine legte ich quer darüber, um die Restwärme auszunutzen. Wie immer war eine kurze Toastzeit eingestellt. In dem Moment, in dem ich den Schalter nach unter drückte, war ich gedanklich bereits im Büro bei dem Computer, der in aller Ruhe hochfahren sollte. Ich lief ins Wohnzimmer, drückte ON und ging ins Bad. Es war immer ein wunderbares Gefühl, wenn ich beim Frischmachen wusste, dass zur selben Zeit mehrere Geräte etwas für mich schafften. Dieses Gefühl wurde an jenem Morgen aber durch ein anderes gestört: Ohne dass dies zu erwarten gewesen wäre, vertrieb ein kräftiges Aroma von frisch Verbranntem alle anderen Düfte.
Bereits in der Tür zum Korridor begrüßte mich Rauch. Als ich jedoch – nun schon stärker beunruhigt – die Küchentür geöffnet hatte, stand ich plötzlich in undurchdringlichem Qualm. Hätte ich ausgerechnet da an Weltgeschichte denken sollen, nur weil ich das sonst fast immer tat? Ich tat es jedenfalls nicht. Fast gleichzeitig riss ich den Stecker aus der Dose, packte mit einem Tuch den Toaster, schleuderte ihn in die Spüle (ein braunes Muster ist immer noch zu sehen), befeuchtete das Tuch und mit dem Tuch die schwelende Tapete, schob den Blumentopf vom Fensterbrett, riss das Fenster auf, rannte ins Wohnzimmer, riss auch dort das Fenster auf, begann tief einzuatmen … und als ich darüber nachdachte, was ich frühstücken könnte und dass ich glücklicher Weise noch einen halben Eimer Restfarbe vom letzten Küchenanstrich im Keller hatte, interessierten mich immer noch nicht Datum oder Weltgeschichte. Eher, ob ich eine Rauchvergiftung haben könnte, aber sicher eine stinkende Wohnung hatte. Ob mir im Ablauf der sich überschlagenden Ereignisse ein Stück Film fehlen könnte, ich vielleicht einen elektrischen Schlag bekommen und es geblitzt hatte oder Ähnliches, weiß ich nicht mehr. Heute bilde mir das ein, aber wahrscheinlich habe ich mir das nachher dazugedacht. Eben, weil es so wahrscheinlich ist … Aber um ganz ehrlich zu bleiben: An den alles entscheidenden Punkt – und den muss es gegeben haben – kann ich mich nicht erinnern. Ich setzte den Tag fast normal fort … also wenn Restrauch normal ist.