Wie
„realistisch“ ist eine Formel „Jedem nach seinen Bedürfnissen“?
Ich
gehe an die Sache heran wie der Indianer, der sagte, Mensch kann kein
Stück von Mutter Erde besitzen, und der trotzdem, nein, gerade
deshalb schonend mit all dem umgegangen ist, was diese Mutter Erde
ihm gewährte.
Dass
ich die Frage aufwerfen muss – auch linke Kritik zwingt mich dazu –
liegt eben an unserem Denken, das selbst bei Linken von aktuellen
Verhältnissen, also unserem Verständnis ausgeht. Also immer wieder:
Nach kommunistischen Prinzipien allgemein zusammenzuleben, setzt
Bedingungen voraus, die wir zuvor schaffen müssen - solche, die uns
teilweise sogar seltsam vorkommen, und solche, die heute einige
Menschen bereits angedacht haben.
Wir
müssen beim Grundproblem beginnen, was „Bedürfnisse“ sind und
wie sie entstehen. Unterscheiden sollten wir „elementare
Bedürfnisse“ und solche „gesellschaftlicher Natur“. Elementare
Bedürfnisse sind von der Natur vorgegeben. Wenn der Körper Energie
braucht, dann „produziert“ er Hunger, wenn Flüssigkeit
erforderlich ist, Durst; „irgendetwas“ muss gegen das Frieren
gemacht werden, die Fortpflanzung der Menschheit ist mit sexuellen
Reizen verbunden, ohne dass ein einziger Sexualpartner auf der ganzen
Welt dabei an die „Fortpflanzung der Menschheit“ denken muss.
Alle anderen
Bedürfnisse sind „gesellschaftliche“ - selbst solche, die sich
auf die Qualität der Befriedigung der elementaren beziehen. Dem
Hunger ist es egal, ob er durch Fleisch eines toten Rehs, Kartoffeln,
Reis … oder Kaviar befriedigt wird. Es gibt natürlich Übergänge.
Für eine „Rundumentwicklung“ wäre es das Beste, sich
abwechslungsreich zu ernähren und regelmäßig auf bestimmte
Inhaltsstoffe zu achten. Das Niveau der Befriedigung elementarer
Bedürfnisse muss für den Kommunismus weltweit auf relativ hohem
Niveau gesichert sein. Es darf im weitesten Sinne niemand „hungern
und frieren“ müssen – und zwar bedingungslos kein Mensch. Es
gibt seriöse Untersuchungen, die dies bereits heute technisch für
machbar halten. Wenn ein gebildeter Europäer von „Bedürfnissen“
spricht, denkt er aber meist nicht an die elementaren. Er geht
bereits davon aus, dass die befriedigt sind, weil er es im Gegensatz
zu Bewohnern der „dritten Welt“ nicht anders kennt.
Schwieriger
ist es mit den gesellschaftlich beeinflussten Bedürfnissen. Dort
wirken Mechanismen, die wir uns heute schwer wegdenken können, um
den Kommunismus zu verstehen, aber zumindest teilweise wegdenken
müssen. Den wichtigsten dabei nenne ich vereinfachend „Neid“.
Ich würde es für den heute entscheidendsten Antrieb nach dem
Elementaren ansehen, dass viele Menschen etwas deshalb besitzen
möchten, weil sie wissen, dass Andere es schon haben. Dieser „Neid“
lässt sich in Marxscher Weise noch weiter auseinandernehmen: Zuerst
muss ein begehrbares Gut vorhanden sein. Das Begehren nach kernlosen
Apfelsinen hielt sich in Grenzen, solange alle wussten, dass es keine
gab. (Die störenden Kerne regten „nur“ die Fantasie an, wie
schön es wäre, wenn es kernlose Früchte gäbe).
Zum
Wesen klassenorientierter Marktwirtschaften gehört das bewusste
Wecken des Besitz-Begehrens. Der, der ein beliebiges Gut zur Profit
bringenden Ware machen will und muss, will unabhängig von allem
Anderen (und sei es die Gefährdung der Gesundheit der Käufer), dass
genau sein Gut Anerkennung als Ware findet, er es verkaufen kann.
Deshalb drängt er es potentiellen Kunden auf verschiedene Weise auf.
Durch die gesellschaftlichen Verhältnisse unterliegt jeder Mensch
(in jeder Gesellschaft) einem andauernden Anpassungsdruck.
(Besonders drastisch ist dieser Druck natürlich dort, wo man
besonders eng einer Normen bildenden Gruppe angehört, wenn die
Anderen zum Beispiel wissen, wer das gerade angesagte Handy NICHT
hat.)
Nun wächst
Neid zuerst einmal aus dem Wissen um tatsächliche Ungleichheit. Die
erste Folge der Ausbeutungsverhältnisse im Feudalismus war keine
Revolutionsbewegung, sondern der allgemeine Wunsch, auch zu DENEN zu
gehören. Wie in den alten Märchen: Das Ideal heißt da Prinzessin,
Prinz, (guter) König. Aber erscheint es nicht einleuchtend, dass
immer weniger es für erstrebenswert halten, eine Prinzessin zu sein,
wenn a) es keine Prinzessinnen gibt, b) keine Hochglanzpostillen
höfische Welten als erstrebenswert darstellen, c) keine wesentlichen
Gruppen sich nach einem unerfüllten „besseren“ Leben sehnen
müssen und d) es alternative Ideale gibt?
Oder
Mode: Sie ist von „Markt-Bedürfnissen“ bestimmt: Damit möglichst
viel verkauft wird, muss man dem Kleidungsstück ansehen, aus welchem
Jahr es stammt. Das hat zur Folge, dass viele das jeweils Neueste
kaufen, um nicht als „unmodern“ abgestempelt zu werden. Ich
behaupte nicht, das dies im Kommunismus vollständig verschwindet. Es
wird aber zurückgedrängt durch die mehr oder weniger dezente
Betonung der speziellen Individualität der Einzelnen. Die Zahl
derer, die selbst etwas zu ihnen Passendes kreieren, wird drastisch
zunehmen. Die Möglichkeiten, solch eigene Kreationen auch
umzusetzen, sind ja nicht beschränkt. Sich Ideen zu beschaffen
ermöglicht das Medium Internet genauso wie die Schaffung einer
eigenen „Modegemeinde“ - die dann eine eigene Produktions- und
Vertriebskette organisiert. Das kostet nichts außer Ideen und etwas
Zeit … und ist eine Frage des Selbstbewusstseins – für die sich
Kleidenden, wenn sie eine echte „Stumphusen“ tragen, und für die
Stumphusen, dass sie eben „die Stumphusen“ ist. Neu ist nur, dass
die normale Massenproduktion aussehen darf wie die
Stumphusenkollektion … aber nicht muss, weil kein materieller
Status gezeigt wird. ...
Es gibt also
manipulierte „Bedürfnisse“, die „der Markt“ erst schafft,
fördert, verstärkt und die in dem Moment zu schrumpfen beginnen, in
dem es keinen Markt mehr gibt. Man darf keine DDR-Verhältnisse als
Maßstab heranziehen, wo natürlich direkt und indirekt der
Marktblick nach Westen bestimmend blieb und der (die) „etwas
Besseres“ war, der (die) das hatte, was andere haben wollten.
Auf
der anderen Seite werden wir natürlich auch im Kommunismus
Bedürfnisse vorsätzlich wecken - nur eben andere. Das setzt bereits
im frühen Kindesalter ein. Da es in der Absicht der Gesellschaft
liegt, dass sich ihre Mitglieder zu allseitig entwickelten
Persönlichkeiten entfalten, wird auch der frühkindlichen Ausprägung
musischer, mathematischer, sportlicher, wissenschaftlicher,
handwerklicher und immer wieder andersartiger künstlerischer
Empfindsamkeit eine ganz andere praktische Wertschätzung
entgegengebracht, als wir das bisher je erlebt haben (obwohl die
DDR-Verhältnisse in diese Richtung gingen). Also nicht in jedem
Menschen im Kommunismus wird ein Supertalent entdeckt werden –
worin auch immer. Aber es werden anteilig viel mehr Kräfte
aufgewandt, um Talente zu wecken und zu entfalten, vor allem jedoch
wird in der Breite die Aufnahmebereitschaft für verschiedenartige
„Sinnes-Reize“ erhöht, die Genussfähigkeit gezielt verstärkt
werden.
Hier
ist sicher am leichtesten zu begreifen, dass das kein abschließend
harmonischer Prozess ist. Das tatsächliche Niveau jedes Einzelnen
wird unterschiedlich weit hinter den Möglichkeiten zurückbleiben
und jeder muss sich mit seinen Mängeln auseinandersetzen. Das wird
jeder auf eigene Weise tun. Im Trend aber werden die Möglichkeiten
jedes Einzelnen immer mehr erkannt und „ausgereizt“ ...
Um sich
vorzustellen, dass und vielleicht wie so etwas geht, ein ganz
praktisches Beispiel: Wer ein Musikstück hört, unterliegt
unterbewussten „Mechanismen“. Das Gehör ist nicht allein, aber
auch Gewohnheiten unterworfen. Wer auf eine Musikrichtung fixiert
ist, wird eher „schön“ finden, was dem Gewohnten ähnelt. Dies
prägten zu großen Teilen Entwicklungszeiten, an die wir uns nicht
mehr erinnern können. Oft sind wir aber auch bereit, unterbewusst
ein Musikstück eher anzunehmen, wenn es uns als „Hit“
vorgestellt wird oder wenn Freunde es stark finden usw. Mit einer
verengten Weltsicht verengt sich auch die Aufnahmefähigkeit für
Schönes. Es geht dabei sowohl um das aktive Produzieren als auch
einfach das Genießen dessen, was andere gemacht haben. Das schließt
ein, Harmonien in vordergründigen Disharmonien zu entdecken,
Auseinandersetzungen als kreativ annehmen zu können. Das erklärt
zum Beispiel mit, warum immer wieder neu Elterngenerationen den
Musikrichtungen ihrer Kinder so skeptisch gegenüberstehen, sie
häufig nicht einmal als Musik akzeptieren. Wer dann nachfragt,
merkt, denen ist es mit ihren Eltern genauso gegangen, und eigentlich
müsste ihnen einleuchten, wenn der nächste Stil für die spätere
Generation … und immer weiter so fort ...
Vielleicht
kann man sich ein winziges Startbild machen, wenn man das System der
Sportförderung in der DDR auf alle Bereiche der
Persönlichkeitsentfaltung ausdehnte. Also eine Wechselwirkung von
„Breitensport“ und „Leistungssport“. Dass dabei nicht jeder
„Sport“ mögen wird, ist Element seiner besonderen
Persönlichkeit. Um eine solche Entscheidung aber treffen zu können,
muss er natürlich in Berührung mit dem „Sport“ gekommen sein.
Oder anders: Bach nicht zu „mögen“, weil man nur Bohlen kennt,
ist genauso doof wie umgekehrt.
Die
Abgrenzungen kommen im Kommunismus fast von allein mit der erworbenen
Fähigkeit, das der eigenen Persönlichkeit am ehesten Entsprechende
aus einer breiten Vielfalt auszuwählen. Zumindest was Musik angeht,
wäre dies heute technisch bereits gut umsetzbar, stößt aber gerade
hier auf marktbedingte Schranken.
Es
ist einfach etwas Anderes, nach dem Erwerb der nächsten Sache zu
„streben“ und, kaum, dass man sie erworben hat, nach der
nächsten, als „sich rundum zu entfalten“.
Nicht
alle Menschen werden irgendwo super sein – genau das würde ja dem
Grundsatz der Vielseitigkeit widersprechen -, aber man kann es
„Synergie-Effekt“ nennen, was jene „allseitig entwickelten
Persönlichkeiten“ für die Gesellschaft erbringen werden: Leonardo
da Vinci hat die Qualität der Leistungen auf einem Gebiet auch aus
der Vielseitigkeit der verwirklichten Interessen auf anderen Gebieten
gewonnen, Goethe war kein „Genie“ der Farbenlehre … aber seinen
Leistungen als Dichter hat die Beschäftigung mit Farben sicher nicht
geschadet usw.
Die
Zeit der Universalgenies ist zwar vorbei. Die Zeit der vielseitigen
Menschen aber bricht erst mit der kommunistischen Gesellschaft an –
und diese Menschen werden „modern“ sein. Ihretwegen wird es wenig
bedeutsam sein, ob alle mitmachen – es reicht, wenn, mit einem
schrecklichen heutigen Wort bezeichnet, die „Leistungsträger“ in
den Superkreativen ihre Vorbilder sehen. Anerkannte Vorbilder aber
besitzen Sogwirkung. Insofern kommen Schul-Coaches (um nicht „Lehrer“
zu sagen) viel größere Bedeutung zu. Sie sind eine von mehreren
Gruppen, die darauf achten müssen, dass sich Jugendgruppen keine
ihre Mitmenschen missachtenden Idole wählen.
Wir sind heute
zu wenig in der Lage, „Neben-Fähigkeiten“ zu nutzen und
schätzen. Selbst ein „Partylöwe“ ist eben mehr als ein
Nichtsnutz. Praktisch ist er doch jemand, der für Augenblicke die
Laune seiner Mitmenschen zu verbessern vermag. Vielleicht ist das
genau die Laune, die ihnen bisher (leicht übertrieben) für die
nächste Erfindung gefehlt hat?!
Wir
haben es mit einer total anderen Welt zu tun: Wenn wir das Wirken der
dann bereits funktionierenden Roboter berücksichtigen, so bleibt an
Tätigkeiten, die wir heute im weitesten Sinne als Arbeit bezeichnen,
weniger als acht Stunden übrig … pro Woche. Sofern es sich dabei
um Arbeiten handelt, die nicht von „zu Hause“ aus erledigt werden
können, die also die körperliche Anwesenheit des „Arbeitenden“
erfordern, lohnt sich ein Arbeitsweg aber erst bei einer ausreichend
langen Arbeitszeit.
Es
gibt mehrere Lösungen:
Für
einen Teil der Menschheit wird die „klassische“ Arbeit zu einem
„Luxus“, um den sie sich bemüht, weil sie darin den Weg zu ihrer
Selbstentfaltung sieht. Dazu gehören die wachsenden Anteile von
Umlernzeiten, in denen die, die keine Fachidioten sein möchten, ihre
Fähigkeiten in den unterschiedlichsten Bereichen erweitern.
Vereinfachend
sage ich „für einen anderen Teil der Menschheit“ (obwohl dies
oft dieselben Menschen sein werden) beginnt die freie Suche nach
erfüllender Tätigkeit in Künsten im weitesten Sinne. Die Übergänge
zwischen dem, was wir heute in „Hobby“ und „Kunst“
unterteilen würden, werden fließender. Da jeder sich dazu bekennen
kann, was er so treibt, finden sich auch weltweit gleich Gesinnte
zusammen. Letztlich erfüllen sie füreinander, aber eben auch für
andere die „Funktion“, Freude zu bereiten. In
verschiedenartigsten Umfelden begegnen sich Menschen und
kommunizieren.
Insofern
verselbständigt sich auch die Kommunikation als solche. Sich frei
mit anderen Menschen auszutauschen ist wieder normaler Bestandteil
des Lebens – weil es keinen gesellschaftlichen Beschränkungen
unterliegt. Keine Kommunikation ist im Gegensatz zu den
vorkapitalistischen „Gemeinschaften“ durch die Natur oder wie im
Kapitalismus durch ein entfremdetes Arbeits- und Erwerbsleben
erzwungen: Der Urmensch brauchte seine Gruppe zum Überleben. Die
Gruppenmitglieder hingen aneinander und mussten daraus das Beste
machen. Der Bauer im Feudalismus war an seine Scholle „gefesselt“
und musste ein Verhältnis zu seinen Nachbarn schaffen. Im
Kapitalismus muss „man“ bestimmte „Kommunikation“ treiben, um
seinen Gelderwerb zu sichern (und andere einschränken). Der Mensch
im Kommunismus kann zu jedem Mitmenschen bewusst seinen Weg suchen …
oder es bleiben lassen: sich in eine Internet-Gemeinde einfinden,
jemanden ansprechen, jemanden besuchen, jemanden auf Veranstaltungen
treffen … oder eben bei einer Arbeit, die beide von vornherein
interessant finden – sonst hätten sie sie nicht gewählt. Er kann
der Masse seiner Mitmenschen aber auch bewusst aus dem Weg gehen. Er
wird sich aber tendenziell nicht selbst aus aller Gesellschaft
isolieren, weil dies die Lebensfreude mindert …
Andererseits
hatte begleitende Kommunikation einen eigenen Wohlfühleffekt, bevor
sich die kapitalistisch reine entfremdete Arbeit durchsetzte. Viele
Menschen hatten eben Vergnügen daran, sich bei ihren Handarbeiten
mit den Nachbarn zu unterhalten. Der Ertrag war nicht akkordhoch,
aber die Stressschäden der Beteiligten waren wohl deutlich geringer.
Das wird im Kommunismus wieder normaler sein ...
Und eines darf
man nicht vergessen: Jedem Menschen steht frei, Dinge zu tun, die wir
heute „direkte Demokratie leben“ nennen würden. In vielen Foren
wird man Fragen des „gesellschaftlichen Zusammenlebens“
diskutieren und letztlich entscheiden, Projekte, die „Investitionen
kosten“, Entscheidungen, die von Bedeutung nicht nur für Wenige
sind. Im Prinzip kann jeder ein solches Forum gründen oder sich
einem anschließen. Es wird nur der organisatorischen Sicherheit
wegen Schlichterräte und Sprecher geben. Weltweit, regional und
fachbereichsbezogen. Ich hatte schon begründet, dass die Masse an
Möglichkeiten verhindert, dass jeder überall mitredet und damit
jede Entscheidungsfindung zähflüssig ermüdend wird. Man wird sich
entscheiden müssen, wo man kompetent sein und mitreden will.
Einen
Bereich habe ich noch nicht angesprochen: die Fortpflanzung. Noch
mehr als in den anderen Lebensbereichen überlagern sich
Gemeinschaftliches und zutiefst Persönliches. Als gesellschaftliche
Frage muss gemeinschaftlich geklärt werden, wie Wirrköpfen der
heutigen Art „Deutschland schafft sich ab“ der sachliche Boden
entzogen wird. Die neue Frage hieße in etwa „Was ist Menschheit
für die nächsten Jahrhunderte?“ Das könnte das größte „Forum“
überhaupt sein. Die Entscheidung für oder gegen Kinder wird auch
heute noch durch Existenzängste beeinflusst. Die Pille bedeutet erst
einmal die technische Möglichkeit, bewusst zu planen und
entscheiden. Wie wenig „frei“ bisher trotzdem entschieden wird,
belegen heute „Planungen“ in China und Indien. Entweder erzwingt
administrativer Druck einer Führungsgruppe die für die Entwicklung
künftiger „Harmonie“ als notwendig angesehene Ein-Kind-Ehe oder
materielle Traditionen und Existenzängste bewirken
Massenabtreibungen von Mädchen. Letzteres als „Nebeneffekt“ der
technischen Möglichkeit, frühzeitig das Geschlecht des Ungeborenen
(und andere Eigenheiten) zu wissen.
Doch
auch für den Kommunismus ist die Frage legitim, wie viele Menschen
„vernünftigerweise“ auf der Erde leben sollten, also wie viele
Milliarden für die Umwelt Erde eine Katastrophe wären – selbst,
wenn die Versorgung solcher Massen gesichert wäre.
Kinder sind im
Kommunismus nur noch im Dreieck von Liebe, Verantwortung und
„Individualität“ zu sehen. Nichts wird letztere von Natur aus so
eindeutig ausdrücken wie eigene Kinder. (Individualität ist auch
die Fähigkeit und Bereitschaft zu dauernder Verantwortung für
Andere.) Man wird sich viel freier für oder gegen das
Kinder-Bekommen und -Aufziehen entscheiden.
Wenn
wir unterstellen, dass die kommunistische Gemeinschaft nicht mehr an
heute eingeleiteten ökologischen Katastrophen zu leiden haben wird
(zum Beispiel massenweisen genetischen
Schädigungen durch radioaktive und andere Umweltbelastungen), also
dass der Untergang der kapitalistischen Verhältnisse „weich“
gelingt, wird sicher eine weitere „Senioren-Generation“
entstanden sein: die Ururgroßeltern. Während eine bewusste
Manipulation der Kinderzahl in beide Richtungen vorstellbar ist –
also Kampagnen „Schafft euch mehr oder schafft euch weniger Kinder
an“ – kann die kommunistische Gesellschaft beim Umgang mit
älteren Menschen nur in eine Richtung denken: weg mit Krankheiten
und Verfall. Da ist auch Erfolg wahrscheinlich: Die lebenden Menschen
werden älter und sind länger zu umfassender Aktivität fähig. Wenn
die Familien weiter gleich viel Kinder bekämen, würde die
Weltbevölkerung noch einmal sprunghaft anwachsen.
Dies
macht unter anderem den Weg freier für vielfältigere
Lebensentwürfe, also auch zu solchen, in denen „egoistischerweise“
keine Kinder vorkommen, „man“ sich dann in angenehmem Umfang
„nur“ um biologisch fremde Kinder kümmert.
Spaß
haben, nur um für den Moment Spaß gehabt zu haben, lässt die
Betroffenen verkümmern. Aber auch Workaholics sind deformierte
Persönlichkeiten. Auf Dauer kann es ja nicht gesund sein, sich mit
Arbeit betäuben zu wollen ... Je mehr wir bereits als Kind gelernt
haben, womit wir uns alles beschäftigen könnten (ohne damit gequält
worden zu sein), umso mehr wollen wir es später auch wirklich
ausprobieren. Als eines von vielem gehört die „Kommunikation“
mit Kindern dazu. Wie gesagt: unabhängig von biologischen
Beziehungen werden Kinder eine Vielzahl von Partnerschaften erleben,
die mit Beziehungen zu „Großeltern“ und guten Tanten und Onkeln
vergleichbar sind.
Die Entfaltung
des Bedürfnisreichtums der heranwachsenden Menschen bekommt einen
total neuen Stellenwert, sobald sie nicht, zumindest im „normalen“
Einzelfall, existenzielle Probleme heraufbeschwört. Bei allen
Problemen, die Kinder auch bedeuten, ist eines weg: Die Frage, wie
soll ich sie / müssen die mich versorgen. Sie steht allein im großen
Rahmen „Menschheit“, also überspitzt: Wenn jede Familie 10
Kinder bekäme, bliebe dann genug Sauerstoff zum Atmen? Die Kinder
sind trotzdem einer der wenigen verbleibenden Zwänge. Wer auch immer
die Bezugspersonen sein mögen, es müssen welche da sein. Das können
biologische Eltern genauso gut sein wie Wahleltern, eine
Mehrpartnergemeinschaft oder anderes. Nur relativ stabil müssen
diese Beziehungen sein.
Ich
reibe mich hier an dem konventionellen Familienbild, das auch
Friedrich Engels vertrat. Wahrscheinlich wird es im Kommunismus etwas
geben, das den Namen „Familie“ verdient. Aber selbst dabei ist
eine Mann-Frau-Beziehung mit dazugehörigen Kindern eine unter vielen
Formen. Inwieweit „Wohn- und Lebensgemeinschaften“ eine große
Rolle spielen werden, ist von unserem Horizont aus schwer zu
bewerten; wahrscheinlich in einer neuen Zweckgemeinschaft von
Individuen eine größere als heute.
Der
Mietkostendruck ist genauso weggefallen wie wirtschaftliche
Abhängigkeiten verschiedenster Art innerhalb konventioneller Ehen.
Warum sollten kommunistisch lebende Menschen nicht als
Totalindividualisten leben, vor allem aber wohnen? Also jeder
Einzelne hat einerseits einen kleinen Bereich allein für sich, der
sich andererseits leicht verbinden lässt mit unterschiedlich
ausgerichteten „Gemeinschaftsräumen“ unterschiedlicher
Sympathie- und Zweckgemeinschaften? Das wäre eine Komplexlösung für
große Wohnobjekte.
Letztlich
muss man ja alles neu denken: Wie viele Einfamilienhäuser mit großen
Gärten es gibt, regelt heutzutage „der Markt“. Nun wäre es eine
grausige Zukunftsvision, wenn das von Marx beschworene Verschwinden
des Unterschieds von Stadt und Land so aussähe, dass die bewohnbaren
Teile der Erde von einer einförmigen ewigen Stadt inmitten von
„Futtermittelwerken“ bestünde. Und diese Stadt bestünde
wiederum aus lauter Einfamilienhäusern. Jedem sein kleines Glück.
Es wäre schon heute ernüchternd, auszurechnen, wie viel
„Lebensraum“ jedem einzelnen heutigen Menschen zustünde.
Die
Wohnverhältnisse spiegeln die Lebensverhältnisse wider. Die aber
können die kommunistischen Menschen bewusst gestalten. Sie haben ja
jenen Büro- und Arbeitsstress nicht mehr, nach dem sie eine
Schrebergartenidylle zum Abtauchen brauchten. Man kann mehr
ausprobieren. Warum keine Gemeinschaft einer Wohnblocketage? Es ist
vieles leichter, wenn es nur noch darum geht, wer welchen geliehenen
Gegenstand vergessen hat zurückzugeben, aber nicht mehr etwas
gestohlen werden kann. Man kann also den Nachbarn eher trauen. Es
bedarf nur der Anstöße zusammenzukommen. „Facebook“ ähnliche
Netzwerke ohne Hintergedanken und mit der Aussicht auf mehr. Eben
ohne Druck, sich aus einem anderen Grund für eine Variante zu
entscheiden als seine individuelle zu finden. Heute merkt man erst
später, ob man auf Abzocker oder eine Form der Prostitution
hereingefallen ist. Umzüge werden nur noch ein Problem, weil sie
organisatorisch Mühe bereiten. Aber wir müssen nicht unbedingt mit
allem möglichen Hausrat umziehen – wir nehmen nur mit, was uns
persönlich besonders wichtig ist, die Grundausstattung kann in der
neuen Wohnung bereitstehen.
Auch
hier gibt es eine klare Trennung: Jeder hat überall das, was
zweckmäßig ist. Er machte sich in der großen Gemeinschaft
„unmöglich“, wenn er nicht sorgsam damit umginge.
Wir
stoßen immer wieder auf bestimmte Grundpfeiler des Zusammenlebens.
Da die Menge der Sanktionen klein ist, verbindet sich das riesige Maß
an individueller Freiheit mit gesellschaftlicher Offenheit. Es ist
(wieder) selbstverständlich, dass man weiß, was bei den Anderen los
ist. Nur so kann Verhalten missbilligt werden, das das
Gemeinschaftsleben schädigt. Weil man viel miteinander zu tun hat,
wird zur harten Strafe, wenn die anderen mit einem nichts zu tun
haben wollen ...
Aber kann
jemandem Arbeit überhaupt ein Bedürfnis sein? Sehen wir uns
gründlich um, fallen uns Leute auf, die auch ohne den ganzen
Kommunismus-Kram wirklich Arbeiten gehen, weil sie das, was sie da
machen, gern machen. Ich spitze das sogar noch zu: Es gibt auch in
der Gegenwart zwar wenige, aber doch einige Firmen, die sich sogar
eine Arbeitsorganisation leisten, als hätten sie schon den
Kommunismus erreicht. Im Wesentlichen kommen und gehen die
Mitarbeiter dort wie sie wollen.
Das
Ganze nennt sich Holacracy. Das ist der Name für eine in bestimmten
„kapitalistischen“ Unternehmen tatsächlich umgesetzte
„kommunistische Organisation“ der Arbeitsabläufe. Viele der
dabei verwendeten Begriffe und Überlegungen sind allerdings nur mit
virtuellen Kneifzangen anzufassen.
Es
geht um Organisation von Arbeit. Nicht hierarchisch organisierte
Abläufe, sondern „Getting Things Done Methode“, also einfach
Formen der Selbstfindung von Strukturen, die nur darauf ausgerichtet
sind, dass zum Schluss das Beabsichtigte herauskommt.
Wenig
verwunderlich finde ich, dass die ersten praktischen Erfahrungen aus
einer Software-Firma stammen. Ähnliche Tendenzen gibt es überall
dort, wo die geistige Verantwortung des einzelnen „Mit-Arbeiters“
für das Gesamtprodukt besonders groß ist.
Mit der
Verwunderung begeisterter Kinder suchen Betrachter bestimmter
Insellösungen dem Beobachteten wissenschaftliche Namen zu geben.
Gibt es so etwas wie eine „kollektive Intelligenz“, mitunter auch
„Schwarmintelligenz“ genannt? Unerklärlicherweise funktioniert
es, dass sich dabei Teams / Kollektive zielobjektbezogen selbst
„Leitungsebenen“ wählen. Also etwas schräg ausgedrückt: Die
Mitarbeiter bestimmen, wer wann in welchem Umfang über sie zu
bestimmen hat.
In
so „anarchisch organisierten“ Firmen bestehen meist nur
minimalste Anforderungen an einzuhaltende Arbeitszeiten, Anwesenheit
und anderen äußeren Druck. Das Merkwürdige: Es bricht nirgendwo
„Anarchie“ aus. Zwar kommen und gehen die Kollegen, „wie es
ihnen gefällt“, aber sie arbeiten dabei nicht weniger sondern
bewusst mehr. Die Betrachter stehen vor einem Rätsel: Ohne
Kontrolle, Stechuhren oder Ähnliches, ohne, dass man irgendeine Form
bemerkte, in der sich die Kollegen gegenseitig kontrollierten …
verhalten sich alle, als kontrollierten sie sich mit einem
unsichtbaren Mechanismus eben doch. Dies war dann der Ansatz, solche
biologischen Vergleiche wie „Schwärme“ heranzuziehen, bei denen
sich „irgendwie“ die Einzelwesen sehr effektiv in ihrem Verhalten
am Kollektiv, der Masse, dem Schwarm orientierten. Da müsse eine
besondere „Intelligenz“ wirken, meinten die in ihrer Denkwelt
Befangenen und wunderten sich noch über etwas Anderes: Der tierische
„Schwarm“ ersetzte individuelle Intelligenz, bei Menschen fiel
dies „Organisationsprinzip“ (?!) besonders bei
intelligenzintensiven Tätigkeiten auf.
Ohne dies
soziologisch oder auf welche Weise auch immer auszudeuten, können
wir durchaus einige Schlussfolgerungen für künftige Gemeinschaften
ziehen. Dabei müssen wir uns allerdings vor Verallgemeinerungen
hüten, wie man sie mitunter bei occupy-Aktivisten antrifft. Die
vorliegende Klassensituation – und wir müssen bei jeder
Betrachtung davon ausgehen, was gerade da ist – produziert
vorsätzlich in dem hier gedachten Sinn „dumme“ Menschen. Das ist
kein Werturteil, sondern nur Ausdruck dafür, dass den meisten
Menschen nicht wirklich all die Denkstrukturen vermittelt werden, um
für ein Ganzes mitzudenken. Wer die Gesellschaft als Ganzes nicht
begreift, kann zumindest bezogen auf diese „Gesellschaft als
Ganzes“ in keine Richtung steuern. Jener seltsame „Schwarmeffekt“,
nämlich dass eine Gruppe wesentlich bessere Ergebnisse erbringt,
als dies der Summe der einzelnen Mitglieder nach möglich zu sein
scheint, setzt immer eine „elementare Gemeinsamkeit“ voraus. Also
wenn jeder das Gesamtziel „weiß“, organisiert sich die Masse so,
dass die Aussicht auf Erreichen des Ziels am größten ist – in
gewisser Hinsicht tatsächlich „spontan“.
Aber
zur Perspektive.
Schon
im Sozialismus ist die „Notwendigkeit“ weggefallen, dass „der
einfache Mann“ die Funktionsweise der Gesellschaft nicht versteht,
weil er sie dann radikal ändern wollte. Er soll sich im Gegenteil
fürs Ganze verantwortlich fühlen, soll die Solidarität mit ihm
individuell fremden Menschen als nützlich begreifen. Also die
Voraussetzung des Kommunismus wäre, dass die dort lebenden Menschen
wirklich möglichst gut begriffen haben, wie ihre Gemeinschaft
funktioniert. Gleichzeitig fallen jene Elemente des Zusammenlebens
weg, die uns unmittelbar korrumpieren könnten.
Unter
solchen Vorzeichen, versuchte ich schon anzudeuten, verändert sich
auch der technische Charakter der Arbeiten. Tätigkeiten mit
vorsätzlicher Verantwortung wie bei den Holacracy-Beispielen nehmen
zu, solche, bei denen abgestumpfte Massen die Kommandos Macht
besitzender Vorarbeiter ausführen, verschwinden allmählich. So wie
Fließbänder, denen Arbeiter getaktete Handreichungen machen müssen,
durch vollautomatisierte Abläufe ersetzt sein werden.
So wie solche
vereinzelten Organisations-“Wunder“ unter den heutigen
Bedingungen der durch die Warenwirtschaft geprägten Menschen
Insellösungen bleiben werden, so beweisen sie gerade in ihrer
Existenz im eigentlich ungeeigneten Umfeld, dass sie bei geeignetem
zur „Normalität“ werden könnten. Sie werden aber auch dann
nicht die einzige Form des Zusammenarbeitens sein.
Diesem
scheinbar Positiven steht etwas Anderes gegenüber. Wir dürfen trotz
eventuell ähnlicher Erscheinungen das Wesen einer Sache nicht
vergessen. In unserem Sinn besteht das Wesen der Beziehung der Masse
der Menschen zur „Arbeit“ darin, dass sie dem einzelnen zur
Entfaltung seiner Persönlichkeit, seiner Schöpferkraft, seiner
Anerkennung durch andere wünschenswertes Lebensfeld geworden ist.
Sie wurde ihm deshalb Bedürfnis, weil der einzelne hier am
deutlichsten zeigen kann, dass er ein würdiges Mitglied der
Gemeinschaft ist – sich selbst nutzen, indem man anderen nutzt.
Das
ist eine galaktisch weit entfernte Beziehung, erlebt man dies unter
aktuell sich herausbildenden kapitalistischen Vorzeichen. Hier muss
der „Ausgesourcte“, das frei schwebende Humankapital innerhalb
einer Wolke von Bestätigung durch die Vermarktung ihrer
Leistungsfähigkeit Suchenden, sich in ewiger Existenzangst
freiwillig extra intensiv ausbeuten lassen. Die Vereinzelten bilden
sich ein, in ständigem Überlebenskampf gegen andere Prekäre, ihre
Kreativität, ihr Ich zu entfalten, verzichten dabei aber nur eine
sichere Perspektive. Die „kommunistischen Clouds“ beginnen ihre
Flüge bei eben dieser sicheren Perspektive. Sie müssen nicht nach
Überlebensaufträge hasten, um sich eine private Rente kaufen zu
können. Sie können wirklich in jedem Punkt ihres Lebens aus- oder
umsteigen. Das wohl wichtigste Unterscheidungswort lautet
(Existenz-)Angst. Genau die wird sie nicht treiben. Deshalb wird die
Katastrophe für die „Zweiten“ kleiner sein. Sie werden eben
nicht „leer ausgehen“, sondern „dazugehören“ ...
Eine
insgesamt reiche Gesellschaft kann sich eine allgemein größere
Vielfalt von Bedürfnissen erlauben. Das schließt
„Sonderbedürfnisse“ nicht aus. Entscheidend wird aber sein, in
einem extrem langfristigen Prozess eine Bedürfnisstruktur
auszubilden, die wirklich den Ausdruck „allseitig entwickelte
Persönlichkeit“ rechtfertigt.
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