Solche Erlebnisse werden heute zum „Zwangstopfen“ verballhornt. Unabhängig von der tatsächlichen Bedeutung unserer gesammelten Eicheln bleibt doch die Frage, wie verdammenswert es sein soll, wenn Kindern das Gefühl der Solidarität vermittelt wird. Ganz unmittelbar erlebten wir, dass es schwächere Wesen gibt, die durch unsere solidarische Hilfe überlebten. Okay … die richtige Vorbereitung auf eine Welt einzusetzender Ego-Ellenbogen war es nicht … aber genau darauf sollten wir auch nicht vorbereitet werden.
Allerdings ... solche Solidaritätsaktionen wie die für Angela Davis hatten zwei Seiten: Die agitatorische, dass doch eine Kommunistin unschuldig sein müsse (was sich im konkreten Fall juristisch belegen ließ), aber auch eine „rein“ menschliche: Stellt euch schützend vor Menschen, die zum Opfer legaler (oder halb legaler) Ungerechtigkeit werden könnten. Eine gute Sache wird doch nicht allein dadurch „schlecht“, dass sie mehr oder weniger „staatlich verordnet“ wird. Ich finde es heute peinlich, wenn ausgerechnet mit diesem Ausdruck „Linke“ den DDR-Antifaschismus verunglimpfen. Am System des damaligen (nicht) „realen Sozialismus“ gibt es Unmassen an Kritik-Punkten. Dass sich ein ganzes Volk mit den wenigen aktiven Antifaschisten, die das faschistische Terrorregime überstanden hatten, identifizieren durfte, halte ich für einen dankenswerten Zug.
Wie gesagt, ein Großteil der Möglichkeiten, die uns Kindern vor die Nase gedrückt wurden, passten trotzdem nicht zu meiner sich entwickelnden Persönlichkeit:
Fahnenappelle waren mir kleinen Anarchisten schon des Einordnens wegen suspekt. Als dann im Unterricht Friedrich Wolfs „Kiki“ zur Lektüre gehörte, wurde diese Geschichte sofort eine meiner allerliebsten. Die „Haltung“ des Hundes, die „Würde“ des Zwangsappells mit seinem Jaulen lächerlich zu machen, entsprach so vollständig meinem Verständnis – ich starb sozusagen im Kreis der trauernden Gefangenen und fühlte mich zugleich als eine der ihren. Dabei begriff ich erst viel später, dass die „Bösen“ keine „echten“ Faschisten gewesen waren, sondern sich ihnen Andienende. (Allerdings hielt sich die Zahl der militaristischen und Appell-Veranstaltungen, an denen ich habe teilnehmen müssen, in engen Grenzen, auch und vor allem später.)
Gemeinschaftliches Basteln und Malen und Sport waren mir der blanke Horror. Weil ich es nicht konnte, wollte ich es nicht. Als ich diesen Zusammenhang später immer besser verstand, verstand ich auch meine Mitschüler immer besser, die Grauen vor den Mathestunden empfanden, weil sie mit lauter Unlösbarem zusammenstießen.
Dafür war das Pionierhaus, bzw. darin die Pionierbibliothek für mich das Paradies. Das Pionierhaus wegen seiner vielen Möglichkeiten, die man auch einfach auslassen konnte, die Bibliothek … Ich glaube, schon in der 5. Klasse hatte sie mir kaum noch Neues zu bieten und ich besuchte eine „normale“. Der für mich normale Leseschnitt waren 4-5 „richtige“ Bücher pro Woche. Ich las also kaum Kinderbücher, sondern reiste in die Welten von Maupassant, Balsac, Dickens und vielen anderen. Ich hatte zwar absolut keine Ahnung, was eine Nutte sein könnte – ich empfinde heute weder mein Unwissen als Mangel als auch, dass es in meinem Schwerin real keine gab – aber empfand doch tiefe Abneigung gegen Menschen, die auf der einen Seite ihre Mitmenschen gebrauchten … und die dann dafür dünkelhaft verachteten. („Fettklößchen“)
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