Montag, 20. Juni 2011

1. Abschnitt: Wie ich trotz und wegen der DDR ... (14)

Nun hat so eine „Planung“ ja Konsequenzen: Die unmittelbare Montage sollte eigentlich jeweils dann beginnen, wenn alle zu montierenden Teile am Montageplatz vorlagen … EIGENTLICH eine sinnvolle Vorgehensweise. Zur detaillierten Planung gehörte also auch, die Kleinteile nach dem Ausgangsplan aus dem Lager in die Montage zu bringen. Gelegentlich geschah dies auch. Das war natürlich schädlich für die Lagerarbeiter: Im seltensten Fall wurde ja nach dem Ursprungsplan produziert. Wer also gut gearbeitet hatte, musste doppelt arbeiten – weil die planmäßigen, aber nun nicht verwendbaren Verschraubungen usw. nun der tatsächlichen Fertigung im Weg waren.
Das Ergebnis bei den Lagerarbeitern war eine pervertierte Form von Dienst nach Vorschrift: Sie rührten nichts mehr an, wovon sie nicht wussten, dass auch die anderen Bauelemente vollständig vorlagen. Da diese Bedingung mindestens an den ersten 22 Tagen jedes Monats in fast keinem Fall erfüllt war, rührte sich in meinem Lagerbereich in dieser Zeit so gut wie nichts. Da es aber ausgeschlossen war, drei Wochen hintereinander tatsächlich NICHTS zu tun, wurde saufend und Karten spielend beieinander gesessen.
Dieses System hatte noch weitere für die Lagerarbeiter angenehme Nebeneffekte: An den letzten Tagen der Monate „brannte die Luft“, da musste also all das bis dahin Versäumte mit den nun tatsächlich vielleicht vorhandenen Teilen nachgeholt werden. Denn letztlich sollten die Pläne ja sogar übererfüllt werden. (Irgendwelche sind bestimmt wirklich übererfüllt worden.) Die Arbeit war nun in regulärer Arbeitszeit nicht zu bewältigen. Da wurden also Sonderzahlungen locker gemacht, nur damit sich die Arbeiter an Wochenenden im Betrieb sehen ließen – neben den „normalen“ Zuschlägen, versteht sich.
Ich übertreibe hier kaum. Diese Situation war der Normalzustand, als ich meine Arbeit im Produktionsbetrieb aufnahm. Naiv wie ich war, versuchte ich nun, das, was ich umsetzen sollte, umzusetzen. Stieß auf lauter Unmöglichkeiten. Musste, um etwas (oder jemanden) zu bewegen, die Arbeiter mit Wodka Lunikoff „bestechen“. Vieles wurde auf dieser Basis möglich. Von Abteilungsleitern aufwärts war „unten“ normalerweise ja niemand zu sehen.
Man könnte meine Eindrücke „Kulturschock“ nennen. Irgendwie verging mir beim Anblick der die Arbeitszeit totsaufenden Kollegen die Illusion von der Arbeiterklasse an der Macht, die da am „Volkseigentum“ … ja, was? Sie erwarteten auf ihre Weise den nächsten „Schicksalsschlag“ und der hieß im konkreten Fall „Plan“.
Wie gesagt, ich brachte den Lunikoff mit, wenn ich etwas wollte und die Arbeiter, überwiegend junge Leute, kümmerten sich dann um „mein“ Problem. Das wir voneinander nicht besonders viel hielten, verheimlichten wir nicht, aber der „Sesselpfurzer“ kümmerte sich eben und das würdigten sie auf ihre Weise ...

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