Später musste ich mich bei mehreren Zuhörern fast entschuldigen, dass ich gewagt hatte, so etwas zu erzählen. Dabei hatte ich nie behauptet, dass dies tatsächlich Erlebte eine typische Erscheinung des DDR-“Sozialismus“ gewesen sei. Aber es war nun einmal mein konkretes Erleben, das letztlich für die krummen Wege meinen weiteren Arbeitslebens bestimmend geworden ist.
Zu jener Zeit war ich fest verbunden mit einer Abiturientin aus Berlin. Die hatte außer vielleicht am „Unterrichtstag in der sozialistischen Produktion“ noch nie einen Arbeiter in Natur gesehen (Der Vater war Mediziner, Edelgrundstücksbesitzer usw.). Aber sie hatte einen Staatsbürgerkunde-Unterricht nach Lehrbuch „genossen“. Ergebnis: Zum einen „wusste“ sie, was und wie die Arbeiterklasse ist – und demzufolge nicht ist – und zum anderen war ihr klar, dass jemand, der behauptete, so etwas Unmögliches erlebt zu haben wie ich, nur ein Klassenfeind sein konnte.
Nun war ich ja immer sehr kritisch gewesen. Dass ich mir aber von jemandem, der keine Ahnung hatte, nicht nur sagen lassen sollte, was ich erlebt haben konnte (und was nicht), sondern auch, dass ich ein „Klassenfeind“ war, noch dazu von meiner Bettgefährtin, reizte meinen Widerspruchsgeist. Ich nicht auf der Seite des Sozialismus?! Du wirst schon sehen! Vielleicht bin ich bald selber Staatsbürgerkundelehrer – ich weiß dann wenigstens, wovon ich spreche. Es war nicht nur ein Vogel, den ich gezeigt bekam. Dass ich das spontan Gesagte ernst meinen könnte, war meiner Partnerin nicht klar.
Aber gleich in der nächsten Woche lauerte ich am Arbeitsplatz auf eine Gelegenheit, allein das Telefon benutzen zu können. Die Nummer der Hochschule, die die von mir angestrebte Fachkombination Deutsch und Staatsbürgerkunde anbot, hatte ich mir bereits herausgesucht. Kaum war ich ungestört, wählte ich und fragte, ob noch ein Platz frei sei. Deutsch / Staatsbürgerkunde nicht, aber Staatsbürgerkunde / Deutsch. Na gut, nehm ich auch, wenn´s nur so rum geht. Was muss ich denn tun? Einen Antrag ausfüllen und zum Arzt und man schicke mir alle Formulare zu.
Das war im August. Im September desselben Jahres (!) begann ich mein Lehrerstudium.
Ich will nicht behaupten, dass man dies in irgendeiner Weise verallgemeinern könnte. Ich kann nur schlicht feststellen, dass es bei mir genau so gewesen ist. Die anderen Studenten hatten sich natürlich ein Jahr früher beworben und waren im Mai bereits zu einem Jugendlager zusammengetroffen.
Die Eile enthielt auch einen Bumerang, der dann auf mich zurück fiel: Jeder zukünftige Lehrer wurde planmäßig gründlich u.a. vom Hals-Nasen- und Ohrenarzt gecheckt, nicht nur, aber auch auf die geeigneten Stimmbänder. Die waren aber aufgrund eines Bronchialinfekts bei mir in jenem August nicht zu begutachten. Der Arzt schrieb also an die betreffende Stelle, dass er keinen Befund erstellen könne. Während des Studiums stellte sich dann heraus, dass ich unter normalen Untersuchungsbedingungen nicht zugelassen worden wäre. Aber da ich nun einmal schon dabei war und ja wollte, dann könne ich auch weiter machen.
Wenn ich heute von den vielen Bespitzelungen höre, muss ich laut lachen: So schnell, wie in meinem Fall eine absolut unbürokratische Lösung möglich gemacht worden war, war zu dieser Zeit technisch keine Akte anzufordern und zu sichten.
Selbst hier, wo sich im Nachhinein eigentlich die spontane Entscheidung als Fehler herausstellte, war sie etwas Positives.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen