Durch jene sehr wilden, individualistischen Reisen durch die Weltliteratur veränderte sich sehr unbemerkt und unterschwellig mein „Blick“. Ich war eigentlich „nur“ ein Junge, der zu viel geschmökert hatte. Zwar in keinem Karl May, aber bei Lieselotte Welskopf-Henrich, Jules Verne und überwiegend in Dingen, die nicht für einen 11-, 12jährigen gedacht waren.
Und die DDR bot in der Folgezeit besondere Chancen zur Befriedigung meines wirren Kunsthungers: Jugendstunden und Theaterkreise. Auf die Mischung kam es an. So wirr, wie ich ahnungslos vor der „Weltkultur“ stand, so gemixt wurden uns monatlich verschiedenartige Erlebnisse vermittelt. Opern, Schauspiele, Ballett, Heiteres … Das hatte einen eigenen Reiz. Nein, keinen hoch kulturellen. Da bemühte sich unsere Musiklehrerin vergeblich um eine vielleicht angemessene Einführung. Aber die ganze Klasse ging gerne auch in Kunstgenüsse, die sie kaum verstand, denn was hätte es für einen besseren Vorwand gegeben, abends „die Sau raus lassen“ zu dürfen? Nicht jedem wäre mit 14 erlaubt worden, nach 22 Uhr durch die Straßen zu ziehen. Aber nach dem Theater …
Wie viel es bei den Einzelnen Positives bewirkt hat – wer vermag das einzuschätzen? Aber jeder hatte die Chance, seine Sinne zu schulen. Und das Staatstheater war gut. Dass dies in irgendeine Weise ein „soziales“ Problem sein könnte (außer im Sinne unseres Gruppenzusammenhalts), wäre keinem eingefallen. Die Eintrittskarten kosteten kaum mehr als ihr Druck gekostet hatte …
Dann setzte meine erste „Schreibphase“ ein. Der Junge wollte Gedichte verfassen. Sehr weise, das Wesen der Welt erklärend und so hölzern holpernd, dass wirklich nur ich selbst von mir überzeugt sein konnte. Aber es gab die verschiedensten Fördermöglichkeiten. Zwar war es natürlich schon komisch, in einem Zirkel schreibender Arbeiter der deutschen Post dabei zu sein, in dem kaum ein Mitglied etwas mit der Post zu tun hatte. Aber ich konnte verschiedene Denk- und Betrachtungsweisen beobachten. Heute bestreitet die Leiterin des Zirkels schreibender FDJler beim Haus der Jugend (jede Einrichtung, die etwas auf sich hielt, förderte verschiedene kulturelle Aktivitäten), dass sie sooo laut ihre Begeisterung geäußert hatte, als ich zum ersten Mal kein „Gedicht“ sondern eine den erzählenden Helden (der viel Ähnlichkeit mit mir hatte) auf die Schippe nehmende kurze Erzählung vortrug. Das, genau das möge ich fortführen (und nicht diese unpoetischen Gedichte). Da aber war ich schon zum ersten Mal beim zentralen Poetenseminar der FDJ gewesen – in den Räumen des Schweriner Schlosses und draußen in der Neubausiedlung. Begegnungen mit kritischen „richtigen“ Schriftstellern, engagierten Menschen, die alle dafür eintraten, schärfer hinzusehen, „mit dem Herzen“ zu sehen, sich einzubringen. Begegnungen wurden organisiert, die uns die Widersprüche von Anspruch und Wirklichkeit dessen, was Sozialismus zu sein für sich in Anspruch nahm, vor Augen führte. Fast noch Kinder erlebten wir die zerplatzende Illusion zukunftsfähigen Bauens. Aus der Not geboren, schnell ein Problem zu lösen, also jedem, der Wohnraum brauchte, welchen zu geben, wurden Siedlungen auf die Wiese gesetzt, die nach etwa 25 Jahren planmäßig durch etwas Neues, Richtiges hätten ersetzt werden sollen – was dann natürlich nie geschah. So erzählte es einer der Projektanten des Dreesch.
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