Mittwoch, 20. Juli 2011

3. Abschnitt: Einmal Toast zum Frühstück oder Nonsens zwischendurch (4. Fortsetzung)

4. Fortsetzung
Am nächsten Morgen blieb ich erst einmal still liegen. Man kennt diese Situation aus vielen Krimis. Die Kriminalisten haben einen Verdacht. Taten sehen sich ähnlich, aber anscheinend besteht zwischen den Opfern kein Zusammenhang. Nun wäre es genauso ungewöhnlich wie langweilig, wenn es wirklich willkürlich betroffene Opfer wären. Beim Frauenmörder haben sie mindestens ihr Frausein gemeinsam. Ob es blonde junge sind, die nach dem Fitnesscenterbesuch durchs Parkhaus laufen müssen oder Frauen mit weniger Gemeinsamem, kann oft erst bewiesen werden, wenn der nächste Mord ins Muster passt.
Ich suchte zwar keinen Mörder. Ich hatte aber drei Fälle von seltsamen, einander ähnelnden Verhaltensweisen von Menschen, die einander mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht kannten und mir zufällig begegnet waren. Nur war ich noch mehr Leuten begegnet. Das konnte es also nicht allein sein. Aber alle drei Begebenheiten lagen zeitlich nach jenem Toaster-Missgeschick und wahrscheinlich hatte ich alle plötzlich so seltsam auftretenden Menschen mit meiner linken Hand am Rücken berührt. Der Zufall ließe sich nur ausschließen, wenn ich eine vierte Person am Rücken berührte.
Natürlich gibt es solche penetranten Ami-Klischee-Typen, die mit jedem, den sie beim Begegnen wieder erkennen, alte Freunde sind und durch Schulterklopfen ihre ungeheure Freude ausdrücken. Ich aber war weder Amerikaner noch leutselig. Ich hätte solch eine Berührung als Bedrohung empfunden, vielleicht sogar als Anmache. Ich wusste noch nicht, wie intensiv und wie lange jenes kommunistische Agitationsbedürfnis über die unmittelbare Begegnung hinaus erhalten bliebe – vorausgesetzt, mein Verdacht sollte sich erhärten. Mein Sohn war für den bevorstehenden Test ungeeignet, da er a) mir nur sehr selten begegnete und b) von meiner politischen Einstellung wusste, ein Gespräch über dieses Thema also kein Zufall zu sein brauchte.
Ich entschied mich für eine schauspielerische Stegreifaktion. Kunze wohnte im Haus über mir. Es wäre ein astronomischer Zufall gewesen, hätten in demselben Sechsgeschosser in Hellersdorf mehrere Spitzel des Verfassungsschutzes oder Propagandisten der Weltrevolution gewohnt. Ich erinnerte mich also daran, dass in meiner Kellerbucht seit langem ein von einem früheren Bewohner ausgemustertes Regal stand. Das würde ich auf meinen Balkon bringen. Ich wuchtete es aus dem Keller, durch die Kellertür, die Kellertreppe herauf … und dann hatte ich den Punkt erreicht, wo man es leicht sah: Ich hatte mich übernommen, musste also Hilfe erbitten. Ich klingelte bei Mustanski. Ich wusste, dass der 30jährige Familienvater daheim und körperlich fit war.
Tatsächlich ging die Tür auf. Ich wies auf das abgestellte Regal und gab in jammerndem Ton von mir: „… Ich schaffs nicht allein. Könnte nicht ihr Mann kurz mit anfassen? Die Treppen …“
Frau Mustanski enttäuschte mich nicht. Sie brüllte: „Jöööörg, kommst du mal?!“ Dann erklärte sie dem Heranwatschelnden meine Lage sehr wortreich und hieß „Jööörg“ feste Schuhe anzuziehen. Das Regal war für meinen Zweck wunderbar geeignet. Ein Mann etwas besserer körperlicher Verfassung hätte es locker allein hoch geschafft, mir war es zuzutrauen, zu zweit aber ging es wirklich leicht. Mir war ja nur wichtig, dass ich ohne Verdacht zu erregen dem Hausmitbewohner danach kumpelhaft die Linke auf die Schulter legen konnte.
Ich tat´s … und richtig: Jörg Mustanski erklärte mir vorm Verlassen meine Wohnung, solch nachbarschaftliche Hilfe sei im Kommunismus selbstverständlich. Ohne bestimmte Formen von Besitz gäbe es keinen Sozialneid und damit weniger Neid überhaupt. Man halte da einfach besser zusammen. Zu DDR-Zeiten war das ja schon besser, und heute … Er bedauere, seine Nachbarn fast überhaupt nicht zu kennen und …
Ich war froh, als die Tür zu war. Ich stand wieder allein in meiner Wohnung mit einer Einladung, abends einmal runter zu kommen. Muss ich besonders erwähnen, dass ich noch am selben Abend die Treppen hinuntergestiegen bin mit einer Flasche Rotwein in der Hand und was dort unten Gesprächsthema war? Muss ich betonen, wer dieses Gespräch fast allein bestritt, wer seine Frau und mich von den Vorzügen des Kommunismus überzeugen suchte? Hätte ich nicht gewusst, dass mich Jööörg vorher nicht gekannt hatte, wäre ich mir veralbert vorgekommen, so als wollte jemand meine Macke karikieren. Viele Sätze und alle Gedanken kamen mir vertraut vor. Die hätten nicht nur von mir sein können – die waren von mir!
Nun war ich mir ziemlich sicher: Ein Handschlag meiner Linken verwandelte den Getroffenen in einen Propagandisten des Kommunismus. Er übertrug meine Überzeugungen und Erkenntnisse auf ihn und diese Wirkung hielt mindestens mehrere Stunden an. Allerdings sollte ich künftig darauf achten, wie viel und welchen Wein ich trank. Die Mustanski-Mischung suggerierte mir in der folgenden Nacht einen Orkan auf hoher See.

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