Mittwoch, 12. Dezember 2012

Kapitelanfang DDR (4)


Ohne den DDR-Staat abzulehnen (allerdings auch ohne ihn kritiklos anzunehmen) fand ich eine Nische genau für mich. Nur hatte mein „Nischendasein“ Formen, die nicht nur ihrer Zeit weit voraus waren, sondern heute schwer vorstellbar sind. Gut … Die organisatorischen Voraussetzungen für hohe Eigenständigkeit waren besonders günstig, u.a. war meine Abteilung außerhalb des Betriebes untergebracht, aber das war nicht das Entscheidende.
Meine Aufgabe war eine Dienstleistung für das Kombinat. Der Außenhandelsbetrieb war zuständig für die Auslandstätigkeit aller Kombinatsbetriebe. Alle ihre „Reise- und Auslandskader“ hatten vor ihrer ersten Auslandsdienstreise (und dann rhythmisch) einen Lehrgang zu absolvieren. Dessen Inhalt war in allgemeinen Ministeriumsplänen festgehalten - ein geballtes Gesamtstudium Außenwirtschaft, Weltanschauung und Menschenqualität / Benehmen in der Öffentlichkeit in einem. So viel also, dass auf jeden Fall abgewichen, sprich: gestrichen werden musste. Was, blieb den Bedingungen vor Ort überlassen. Ich hatte die tatsächlichen Lehrgänge zu planen und diese Planung praktisch umzusetzen. Dabei hatte ich freie Hand, wo (in der DDR) ich welche Dozenten gewann. Es wäre überhaupt nicht aufgefallen, hätte ich einige Tage nur Privatangelegenheiten erledigt. Da wäre ich eben auf Dozentensuche gewesen.
Das Maß an Kreativität bei der Arbeit war sehr hoch. Ich hätte zwar auch ohne anzuecken etwas „zum Abhaken“ machen können, aber gerade weil ich es selbst wollte, jagte ich laufend Verbesserungen hinterher. Seltsamerweise schlug das besonders die schwächsten Glieder der Abteilung in den Bann: Vier „Verantwortungsträger“ teilten sich eine Sachbearbeiterin / Schreibkraft, die nach Bedarf für jeden von uns Hilfsarbeiten zu erbringen hatte. Die erste war dabei oft in Gedanken (und am Telefonhörer) beim Bändigen ihrer pubertierenden Tochter (sie war allein erziehend) – also „abwesend“. Ihr Ruf war demzufolge: Faul, quatscht viel, hat von nichts Ahnung … usw.
Ich nutzte sie zum Ideentest und für organisatorische Aufgaben sehr komplexer Art. Ergebnis: Sie blühte allmählich auf. Sie entwickelte Vergnügen an der (Mit-)Lösung von Problemen, die nicht von vornherein lösbar schienen. Sie brachte sich in immer beeindruckenderem Umfang in die Arbeit ein. Schließlich wuchs in ihr Stolz darauf, was WIR geschafft hatten. Bei ihrer jüngeren Nachfolgerin noch mehr. Während sie von den Anderen behandelt wurde wie jemand, von dem man wenig hielt, konnte sie sich neben mir voll entfalten. ...

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